Der Friedberger Künstler Fritz Schwimbeck (1889–1972), schuf zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Reihe beeindruckender graphischer Werke. Im Umfeld der Münchner Kunst- und Literaturszene war er nach seinem Studium der Architektur und Kunstgeschichte als freischaffender Künstler tätig (Ilda Mutti: L`opera grafica di Fritz Schwimbeck, Bergamo 1984/85, S. 3–4). Geprägt von seinen persönlichen Kriegserfahrungen, Krankheit, Schmerz und Tod verarbeitete der Künstler in seinen Zeichnungen regelmäßig Motive des Unheimlichen und des Grotesken (Alice Arnold-Becker: Unheimlich. Die Kunst von Fritz Schwimbeck, Friedberg 2023, S. 7). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts widmeten sich einige Künstler*innen ähnlichen Motiven und Themen, die auch Schwimbeck inspirierten – so besaß er beispielsweise illustrierte Werke Alfred Kubins (1877–1959). Zudem wurde Schwimbeck durch phantastische Literatur wie Shakespeares Macbeth (1606) (Abb. 1) oder Bram Stokers Dracula (1897) angeregt (Arnold-Becker 2023, S. 8–50).

Schwimbeck arbeitete in Zyklen und fertigte oft mehrere Entwürfe zu einem Bildthema an. Neben seinen Graphiken zu Macbeth und Dracula schuf er zwischen 1916 und 1917 Illustrationen zu Gustav Meyrinks (1868–1932) Roman Der Golem. Dies war die erste Bildreihe, an der er kontinuierlich arbeitete. Schwimbeck las das Buch bereits kurz nach der Veröffentlichung im Jahr 1915, erste Illustrationsentwürfe entstanden kurz darauf (Mutti 1984/85, S.7).
Meyrinks Roman ist eine phantastische Erzählung, die sich im alten Prager Judenviertel des ausgehenden 19. Jahrhunderts abspielt. Die schaurige Atmosphäre der Handlung ist geprägt durch die halbdunklen Gassen des Ghettos und einem ständigen Wechsel zwischen Traum, Realität und Erinnerung. In Form des Ich-Erzählers taucht die Hauptfigur in das Leben des Athanasius Pernath ein, wobei es immer wieder zu undefinierten Begegnungen mit der Schattenfigur des Golems kommt (Gustav Meyrink: Der Golem. Mit 19 Illustrationen von Hugo Steiner-Prag, München und Wien 1972). Beim Golem handelt es sich ursprünglich um eine Figur der jüdischen Legende, die sich seit dem 12. Jahrhundert in regionalen Varianten verbreitete. In der Prager Variante taucht der Golem als künstlich geschaffener Mensch auf, der Angst und Schrecken in der Stadt verbreitet (Beate Rosenfeld: Die Golemsage und ihre Verwertung in der deutschen Literatur, Breslau 1934, S. 1–23). Mündliche Erzähltraditionen und Adaptionen in der Literatur beeinflussten Meyrink jedoch mehr, als die eigentliche, historisch fassbare Legendenerzählung. Somit verarbeitete der Autor die Golem-Legende in seinem Roman als eigene zeitspezifische, literarische Konstruktion (Veronika Schmeer: Inszenierung des Unheimlichen. Prag als Topos – Buchillustrationen der deutschsprachigen Prager Moderne (1914–1925), Göttingen 2015, S. 76).
Diese zwielichtige, traumartige Stimmung in Meyrinks Roman inspirierte Schwimbeck. Er stellt in seinen Illustrationen dunkle Straßen und eine belebte Architektur dar, um die inneren Ängste des Protagonisten sichtbar zu machen und damit die unheimliche Atmosphäre des Romans zu visualisieren. Dennoch zeichnet die Bilder ein unkonkreter, entfremdeter Charakter aus, da Schwimbeck kaum Menschen oder genaue Gesichtszüge darstellte. Persönlichkeit und Emotionen werden eher durch die Körperhaltung einzelner Figuren ausgedrückt, was ihnen eine symbolische Bedeutung verleiht (Mutti 1984/85, S. 97–100).
Eines der ersten Blätter, welches für die Illustrationsreihe entstand, ist Spuk (Fritz Schwimbeck: Tagebuch. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg. Inv. Nr. 1992/143: 1916. S. 177). (Abb. 2) Es zeigt zwei Personen in einem finsteren Raum mit Backsteinmauer und Gitterfenster. Sie tragen die gleiche dunkle Kleidung und sitzen sich in gebückter Körperhaltung gegenüber. Schwimbeck hat damit die Szene aus dem Roman illustriert, in der Pernath sich in dunklen Gängen verirrt. Er findet daraufhin ein geheimes Zimmer, in dem er schließlich die ganze Nacht verweilt. In einem halbtraumartigen Zustand erscheint ihm dann sein eigener Doppelgänger, in Gestalt einer gespenstigen Kreatur – dem Golem (Meyrink 1972, S. 104–120). Durch die Abbildung des Doppelgängers zeichnet Schwimbeck ein konkretes Bild des in der Textvorlage oftmals kaum beschriebenen Golems.

Während seiner Arbeit an den Illustrationen hielt sich Schwimbeck immer wieder in seiner Heimat, dem Friedberger Schloss auf. Schwimbecks Vater war dort als Amtsrichter tätig, sodass er einen Großteil seiner Kindheit und Jugend dort verbrachte. Die dortigen düsteren Gänge und Räume inspirierten ihn zu vielen seiner Zeichnungen (Joseph Popp: Fritz Schwimbeck, in: Bruckmann, F. (Hg.): Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur, Siebenunddreißigster Jahrgang, 1921–1922. München 1922. S. 130–136, S. 134). Geplagt von inneren Ängsten durch seine Kriegs- und Krankheitserfahrungen und angeregt von seiner räumlichen Umgebung, schuf er Werke, die sein Unbehagen und seine Faszination für das Unheimliche ausdrücken. Sigmund Freud beschreibt das Unheimliche als fremd, verborgen und eine Verwischung der Grenzen zwischen Realität und Phantastik (Sigmund Freud: Das Unheimliche (1919), Rom 2012, S. 4-24). Eine Atmosphäre, die in Schwimbecks Arbeiten nicht nur sichtbar, sondern auch deutlich spürbar ist.
Schwimbeck fertigte insgesamt 17 Graphiken zu Meyrinks Der Golem an. Zwecks einer illustrierten Ausgabe des Romans trat Schwimbeck bereits früh mit dem Verleger Kurt Wolf in Kontakt. Trotz mehrerer Entwürfe Schwimbecks wurde der Auftrag für die Buchillustration an den Künstler Hugo Steiner-Prag (1880–1945) vergeben (Schwimbeck 1916, S. 185). Nach einer darauffolgenden Auseinandersetzung mit dem Verlag legte Schwimbeck seine Zeichnungen schließlich dem Autor Gustav Meyrink selbst vor. Dieser war beeindruckt von den Arbeiten und versprach Schwimbeck für seinen nächsten Roman Das grüne Gesicht einen Illustrationsauftrag. Bereits Ende 1916 begann der Künstler mit ersten Zeichnungen dafür. Beide Illustrationswerke wurden schließlich im Dezember 1918 in einer Mappe mit dem Titel Das grüne Gesicht und der Golem beim Verlag Georg Müller in München veröffentlicht. In einem Vorwort lobte Meyrink selbst die Romannähe der Illustrationen und Schwimbecks Zeichenstil, der einen „magischen und symbolischen Wert“ ausdrücke (Mutti 1984/85, S. 93).
LEILA EL-DWAIK, B.A. studiert Kunst- und Kulturgeschichte im Master an der Universität Augsburg und hat ein Praktikum am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München absolviert.