„Feder und Pinsel sind seine Waffen geworden“: Georg Biermann: Lovis Corinth, Bielefeld/Leipzig 1913
Die früheste Publikation erschien 1913 in der populären Serie Künstler-Monographien des Bielefelder und Leipziger Verlags Velhagen & Klasing. Geschrieben wurde sie von „Dr. Georg Biermann“. Nicht nur die prominent platzierte Angabe des akademischen Titels auf dem Titelblatt wirkt heute etwas befremdlich, auch die Frakturschrift und die Gestaltung der Seiten mit Zierrahmen und -leisten verleihen dem Buch einen für sein Erscheinungsjahr eher antiquierten „Look“. Gut vierzig Jahre später, nämlich 1955, veröffentlichte Gert von der Osten im Münchner Bruckmann Verlag eine umfassende Monographie zu dem Künstler, diesmal mit „83 Abbildungen und 10 Farbtafeln“. Diese wird in der kommenden Folge von ZI Spotlight (07.01.2026) im Mittelpunkt stehen. Von Horst Uhr stammt schließlich eine 1990 veröffentlichte Monographie, die die vorangegangenen Publikationen in ihrem wissenschaftlichen Anspruch übersteigt. Ihr wird die Ausgabe von ZI Spotlight am 14.01.2026 gewidmet sein. Während Biermanns Darstellung weder Inhaltsverzeichnis noch Fußnotenapparat oder Bibliographie enthält und von der Osten ebenfalls auf Fußnoten verzichtet hat, lässt sich erst Uhrs Monographie als eine im eigentlichen Sinne wissenschaftliche Studie zu Corinth verstehen.



An diesen drei Publikationen wird nicht nur exemplarisch der Grad der Verwissenschaftlichung des Faches Kunstgeschichte nachvollziehbar, wie er im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts auch die Gattung der Künstlermonographie erfasst hat (allgemein hierzu: Katharina Krause/Klaus Niehr (Hg.): Kunstwerk – Abbild – Buch: das illustrierte Kunstbuch von 1730-1930, München 2007). Zugleich verdeutlichen diese drei Monographien, wie unterschiedlich die Darstellung eines Künstlerlebens, die Entwicklung seines Werks und dessen Deutung ausfallen können. An diesen Publikationen lässt sich exemplarisch die Ausgangsfrage der aktuellen Ausstellung am ZI unter dem Titel Corinth werden! Der Künstler und die Kunstgeschichte veranschaulichen. Die Präsentation wirft die Frage auf, welchen Anteil das Fach Kunstgeschichte mit seinen unterschiedlichen Diskursen, Medien, Instrumenten und Formen der Wissensvermittlung für die Genese dessen hat, was wir heute als das öffentliche Bild des Künstlers Lovis Corinth und seines Werkes verstehen.
Populäre Kunstgeschichte – mit nationalkonservativem Einschlag
„[M]it 123 Abbildungen nach Gemälden, Zeichnungen usw., darunter acht farbigen Einschaltbildern“ konnte Biermanns Buch über eine hohe Anzahl an – gemessen am Standard der 1910er Jahre – qualitativ hochwertigen Abbildungen aufwarten [Abb. 4].

Gerade diese Abbildungsfülle war ein herausstechendes Merkmal dieser von Hermann Knackfuß herausgegebenen Reihe. In rascher Folge publizierte der Verlag ab 1894 Darstellungen zu Leben und Werk von Künstlern wie Raphael, Rubens, Rembrandt, Dürer und Holbein dem Jüngeren, Michelangelo, Velázquez und Menzel, wobei diese ersten Monographien der Reihe noch von dem Herausgeber selbst verfasst worden sind. In den folgenden Jahren weitete sich der Kreis der Autoren um teils bekannte Kunstschriftsteller wie Adolf Rosenberg (u.a. zu Anton von Werner und Antoine Watteau), Henry Thode (zu Mantegna und Corregio), Hans Rosenhagen (zu Max Liebermann) oder Fritz von Ostini (zu Hans Thoma).
Biermanns Publikation erhielt die laufende Reihennummer 107 – ein Hinweis auf den Publikumserfolg dieser Reihe und die schiere Menge an Monographien, die produziert worden sind. Tatsächlich haben sich in den Jahren um 1900 die Künstler-Monographien zu einzelnen Meistern der Frühen Neuzeit, aber auch zu Protagonisten der Kunst der Gegenwart im eher konservativen Bildungsbürgertum schnell einen Namen gemacht. Zuletzt hat die Kunsthistorikerin Friederike Kitschen in ihrer Studie zu illustrierten Kunstbuchserien von 1860 bis 1960 die Reihe historisch kontextualisiert (Friederike Kitschen: Als Kunstgeschichte populär wurde: illustrierte Kunstbuchserien 1860-1960 und der Kanon der westlichen Kunst, Berlin 2021, S. 66–80). Ein Blick auf das gesamte Portfolio zeigt einen Schwerpunkt auf der Kunst aus Deutschland, insbesondere im Bereich der Kunst des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts.
Bevor sich der umtriebige Biermann mit Corinth auseinandersetzte, hatte er sich bereits als Kunstschriftsteller, Kunstkritiker und Rezensent betätigt (u.a. von Corinths Biographie Das Leben Walter Leistikows. Ein Stück Berliner Kunstgeschichte, Berlin 1910). Zeitweise wirkte er als Herausgeber der Monatshefte für Kunstwissenschaft sowie der Zeitschrift Cicerone. Halbmonatsschrift für Künstler, Kunstfreunde und Sammler. Von 1912 bis 1917 stand er im Dienst des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen in Darmstadt als künstlerischer Berater; dieser ernannte ihn schließlich auch zum Professor. Im Vorfeld der Veröffentlichung ist Biermann mit Corinth in Kontakt getreten, wie man aus einem Brief aus dem Nachlass des Künstlers erfährt (vgl. Michael Fuhr: Die Buchreihe der Künstler-Monographien im Verlag von Verhagen & Klasing (1894-1941) als Beispiel national-konservativer Kunstpolitik und ihrer Auswirkung auf die Akzeptanz der Moderne, Berlin 2004, S. 399f.).
Das Buch erschien am Vorabend des Ersten Weltkriegs und nur zwei Jahre nach dem Schlaganfall des Künstlers, den dieser 1911 erlitten hatte. Bekanntlich hatte diese Erkrankung tiefgreifende Spuren im Leben Corinths hinterlassen; auch wurde die Malweise, wie er in seiner postum erschienenen Selbstbiographie offen eingestand, dadurch erheblich beeinflusst. Auf diese schwierige Phase im Leben des Künstlers geht Biermann zwar im letzten Teil seiner Studie ein, doch bildet sie keineswegs einen Schwerpunkt seiner Darstellung – zu frisch war wohl das Krankheitsereignis, um es intensiver zu beachten. Erst in späteren Monographien bildet diese Phase eine, wie wir sehen werden, bedeutsame Episode – nicht nur in biographischer, sondern auch in kunsthistorischer Hinsicht.
Corinth gegen „künstlerische Erschlaffung“
Wer nur die ersten Seiten von Biermanns Darstellung liest, kann zu dem Eindruck gelangen, dass der Kunstschriftsteller dem Künstler damit keinen guten Dienst erwiesen habe: Carla Schulz-Hoffmann hebt in einem wichtigen Aufsatz zur Corinth-Rezeption bis 1945 hervor, dass mit Biermanns Studie Corinth für eine nationalistische Deutung seines Schaffens vereinnahmt worden war (Carla Schulz-Hoffmann: Corinth im Urteil der Kunstkritik bis 1945, in: [Kat.Ausst.] Lovis Corinth 1858-1925, Gemälde und Druckgraphik, Städtische Galerie im Lenbachhaus München, 12.09 bis 16.11.1975, hrsg. von Armin Zweite, München 1975, S. 102–110). In der Tat setzt Biermanns Darstellung, die gänzlich ohne Gliederung auskommt, mit der Feststellung ein, dass die „moderne deutsche Kunst“ in der Zeit „nach dem ruhmreichen Krieg von Siebzig […] [w]ie ein Wunder […] ans Licht getreten“ sei – nach „Jahren künstlerischer Erschlaffung, eines kleinbürgerlichen Dilettantismus und einer in überkommenen Idealen eingefangenen Anschauung“ (S. 1). Corinth wird sodann als führender Protagonist eben jener Erneuerungsbewegungen eingeführt, als „starke[r] Widerpart gegen alle tendenziösen Richtungen schlechthin“ (S. 5).
Auch wenn Biermanns einleitende Überlegungen auf den ersten Seiten tönend klingen und mit reichlich nationalistischem Pathos angereichert sind, so sind die nachfolgenden Ausführungen durchaus zurückhaltender. Insgesamt ist dem Autor daran gelegen, die Werke Corinths bei allem Respekt vor dessen bisheriger Lebensleistung differenziert zu bewerten. Mit seinen zahlreichen Selbstbildnissen, die auch von Biermann besprochen werden, hat Corinth nicht nur sein von vielen Zeitgenossen als grobschlächtig empfundenes Gesicht bekannt gemacht, sondern auch seinen kräftigen, vierschrötigen Körper zum Markenzeichen stilisiert. Corinth machte sich so zur Projektionsfläche für ein Künstlerimage, das zum Ästhetizismus der Jahrhundertwende, zu kulturellen Figuren wie dem Dandy oder dem Neurastheniker in diametralem Gegensatz stand.

Und so erkennt Biermann gerade im berühmten Selbstbildnis mit Skelett von 1896 [Abb. 5] ein Gemälde, das vielleicht „eines Tages […] in eine[r] Reihe mit den berühmten Porträts der Kunstgeschichte“ (S. 43) zu stellen sein wird. Demgegenüber spart der Autor beim großformatigen Gemälde Die Logenbrüder von 1898/99, das heute ebenso im Münchner Lenbachhaus aufbewahrt wird [Abb. 6], nicht mit Kritik. Zwar wird die gattungsmäßige Orientierung an dem großen Vorbild Frans Hals konzediert, aber doch zeige gerade dieser Vergleich die Schwächen des jüngeren Bildes umso deutlicher: Die Komposition weise „zu wenig Konzentration“ auf und auch die Porträts selbst hätten „fast durchweg etwas Gewaltsames“ (S. 40).

https://www.lenbachhaus.de/digital/sammlung-online/detail/die-logenbrueder-30003454
Pinsel, Feder, Schwert
Insgesamt folgt Biermanns Darstellung über weite Strecken der Erzählung von einer lebensbejahend zupackenden Künstlerpersönlichkeit, die sich den Respekt der Kollegen und die Achtung, ja die Verehrung des Kunstpublikums erarbeitet habe. Corinth erscheint in Biermanns Monographie als Repräsentant eines Künstlertypus, der das Leben in all seinen Facetten mit seinem subjektiven Temperament wahrzunehmen und auf die Leinwand zu bannen vermochte. Begründet wird dies mit dem Gefühl einer Beschleunigung, das für die Epoche, in der Corinth wie auch Biermann selbst leben, charakteristisch sei: So möchte der Autor daran erinnern, „daß unsere Zeit im Ganzen an Tempo und Energie gegenüber früheren Epochen doch ungeheuer gewonnen hat, daß diese Zeit darum auch andere Menschen und eine neue Spezies von Künstlernaturen verlangt […]. Für diese neue Zeit erscheint gerade Corinth als ein prachtvoll vorbildlicher Typ bei aller Bescheidenheit…“ (S. 55). Dabei schreckt Biermann nicht vor martialischen Formulierungen zurück: „Denn wenn einer von unseren modernen deutschen Künstlern eine geborene Kämpfernatur ist, dann ist es Corinth. Pinsel und Feder sind seine Waffen geworden, um sich Anerkennung vor der Welt zu erzwingen, und er hat den einen so gut gehandhabt, wie er die andere wohl zu führen verstand.“ (S. 48) Diese Gleichsetzung von Pinsel und Waffe findet sich in erstaunlicher Parallelität auch in der fotografischen Inszenierung des Künstlers, nämlich in einem 1911 entstandenen Porträt des Malers im Atelier von einem unbekannten Fotografen, in dem der Künstler beim Malen des Erzengels Michael gezeigt wird und der Pinsel in Analogie zum gemalten Schwert auf die Leinwand gesetzt wird [Abb. 7].

Gert von der Ostens Monographie von 1955 setzte sich zwar auch zum Ziel, dem Künstler als herausragender Figur der Kunstproduktion um 1900 ein Denkmal zu setzen. Aber von einer Heldengeschichte, wie sie Biermann über weite Teile geschrieben hatte, ist bei von der Osten nicht mehr viel übrig – hierzu mehr in der nächsten Ausgabe von ZI Spotlight.
DR. DOMINIK BRABANT ist stellvertretender Direktor des ZI. Er konzipierte die Ausstellung „Corinth werden! Der Künstler und die Kunstgeschichte” am Zentralinstitut für Kunstgeschichte.


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