Bernard de Montfaucon folgt in seinem L‘Antiquité expliquée – einer „Bilder-Enzyklopädie“ von Antiken-Darstellungen, die von 1719 bis 1724 in 15 Folio-Bänden und mit über 1.000 Kupferstich-Tafeln in Paris publiziert wurde – auch den „Wanderstraßen“ (vgl. Blogbeitrag: Timo Strauch über „Wanderstraßen der Antike“ (11.12.2024)) der Herkulesdarstellungen. In zehn Kapiteln des zweiten Bandes werden ganze 88 Darstellungen des Heros gezeigt. Sie reichen vom jungen Herkules mit der Schlange (Taf. 123) bis hin zum Herkules Farnese (Taf. 125). Ergänzend dokumentieren zahlreiche Abbildungen seine Heldentaten (Taf. 126, 127, 131–133). Weitere stellen Herkules in seiner Funktion als Musagetes, den Gefährten und Beschützer der Musen, dar wie Taf. 137, die später in der im Umfang reduzierten deutschen Ausgabe von 1757 wiederholt wird (Abb. 1).
„Wanderstraßen der Antike. Ann-Kathrin Fischer über die (ikonographischen) Darstellungsspielräume der Figur des Herkules in der Druckgraphik“ weiterlesenKategorie: Ausstellungen am ZI
Timo Strauch über Wanderstraßen der Antike
Dicht gedrängt und in strahlendem Weiß präsentieren sich die Gipsabgüsse hunderter antiker Kunstwerke im nördlichen Lichthof des Hauses der Kulturinstitute und vermitteln den Besucher*innen gleichsam handgreiflich die Bedeutung, welche der Kenntnis und der Vertrautheit mit diesen Abbildern von Göttern, Helden und Themen der Kulturen des Altertums schon immer zugemessen wurde. Viel länger als der wegen seiner Fertigungsweise echte Originaltreue garantierende Abguss dienten dazu allerdings die verschiedenen Erscheinungsformen der Druckgrafik, von denen nun eine exemplarische Auswahl in der von Ulrich Pfisterer und Ann-Kathrin Fischer kuratierten Vitrinenausstellung Wanderstraßen der Antike. Gedruckte Bilderschätze der Frühen Neuzeit gezeigt wird (Abb. 1).
Das Stichwort „Wanderstraßen“ betont dabei vor allem einen Aspekt der ausgewählten Exponate, nämlich die Tatsache, dass die gelehrte Beschäftigung mit den materiellen Hinterlassenschaften der Antike, die zum visuellen Abgleich mit den überlieferten antiken Texten herangezogen wurden, regelmäßig mit Wiederholungen bereits verfügbarer Abbildungen operierte. Teils über Jahrhunderte hinweg reihte sich mitunter Kopie an Kopie, ohne dass die ausführenden Künstler oder die mithilfe der Bilder argumentierenden Autoren das eigentliche Objekt des Diskurses jemals selbst vor Augen gehabt hätten. Dieses Merkmal der Epoche ist seit Johann Joachim Winckelmanns vehementer Kritik daran hinlänglich bekannt, aber erst jetzt werden die tatsächlichen Ausmaße des weit verzweigten Netzwerks europäischer Bildquellen des 17. und 18. Jahrhunderts sichtbar. Im Rahmen des Akademienvorhabens Antiquitatum Thesaurus werden die Zeichnungen und Drucke systematisch und in digitaler Form erschlossen (s. https://thesaurus.bbaw.de/de). Einige der bisherigen Ergebnisse flossen in die Münchener Ausstellung ein.
Hauptzeuge ist hier wie dort der französische Gelehrte Bernard de Montfaucon (1655–1741), dessen ‚Bilder-Enzyklopädie‘ L’Antiquité expliquée et représentée en figures 1719 erstmals in fünf Doppelbänden erschien und 1724 durch fünf Supplement-Bände ergänzt wurde. Darin bündelte Montfaucon das antiquarische Wissen seiner Vorläufer und erntete gleichzeitig die Erträge von deren Bildproduktion, indem er tausende Buchillustrationen und Zeichnungen zusammentrug, der Systematik seiner eigenen Wissensordnung unterwarf und durch eine Equipe von Stechern für seine insgesamt ca. 1.400 Tafeln grafisch weitgehend harmonisieren ließ. Seine mal mehr, mal weniger leicht zu entschlüsselnden Quellenangaben bilden den idealen Wegweiser auf den rückwärts gerichteten „Bilderwanderungen“ der Ausstellung.
In fünf Vitrinen werden diese „Bilderwanderungen“ jeweils in einer Vitrine präsentiert, wobei die Exponate der einzelnen Schaukästen gleichzeitig auch eine jeweils andere Facette der Antikenabbildung veranschaulichen: Es geht um die „Dokumentation“ realer antiker Artefakte; um die „Rekonstruktion“ antiker Lebenspraxis, wie beispielsweise des römischen Badewesens; um die Überzeugungskraft „falscher Antiken“, wenn Antiquare neuzeitliche Kunstwerke für authentische Zeugnisse der Antike hielten; um „fantastische Antiken“, die allein auf dem Papier entstanden, weil die aus Gelehrsamkeit gespeiste Vorstellungskraft der Autoren offenbar einen Ausdruck im Bild erforderte; und um oft aus denselben Gründen „imaginierte Architekturen“.
So steht ein heute in der Berliner Antikensammlung aufbewahrter Antefix mit dem Abbild der Juno Sospita von ca. 500 v. Chr. (Thesaurus-ID 1369691) für die „Dokumentation“ eines realen antiken Artefakts. Es wurde erstmals 1644 in dem Buch „De profanis et sacris veteribus ritibus“ seines ersten nachweisbaren Besitzers Giovanni Battista Casali als kolorierter Holzschnitt publiziert (Abb. 2, Thesaurus-ID 1512961). In der Ausstellung ist die Kupferstichtafel in einer postumen Neuausgabe von Casalis Werk von 1681 zu sehen (Abb. 3, Thesaurus-ID 1524035). Selbst wenn der Stich gegenüber dem Holzschnitt eigentlich die besseren technischen Voraussetzungen für eine differenzierte, getreue Wiedergabe des Originals bot, musste der anonyme Stecher hier aufgrund des fehlenden Zugangs zum Objekt eine bloße Kopie nach der älteren grafischen Vorlage liefern, was dazu führte, dass die schon im Holzschnitt schlecht getroffene Physiognomie der Göttin weiter den zeitgenössischen Vorstellungen bzw. dem persönlichen Stil des Stechers angeglichen wurde und die in der Kolorierung vermittelte Farbigkeit gänzlich verloren ging.
Dagegen stellt die erneute „Dokumentation“ des Antefix in Lorenz Begers Thesaurus Brandenburgicus selectus von 1701 eindeutig eine qualitative Verbesserung dar (Abb. 4, Thesaurus-ID 1486935). Angesichts der überzeugenderen Wiedergabe der Physiognomie ist davon auszugehen, dass der für Beger tätige Stecher das reale Artefakt, welches durch den Ankauf der Sammlung Bellori 1698 nach Berlin gekommen war, mit eigenen Augen gesehen und gezeichnet hat. Auf das Mittel der Farbigkeit musste aber auch er verzichten. Schließlich ließ Bernard de Montfaucon für die L’Antiquité expliquée wiederum Begers Abbildung kopieren, und erneut führte dies vor allem zum Verlust der neben der Farbigkeit prägnantesten Eigenschaft des Antefixes: der archaischen, für das darin ungeübte nordalpine Künstlerauge wohl zu exotischen Gesichtszüge der Göttin (Abb. 5, Thesaurus-ID 1467292).
Neben den fünf „Bilderwanderungen“, die jeweils denselben Gegenstand in seinen variantenreichen Auftritten in Büchern verfolgen, illustrieren drei weitere Vitrinen die „Spielräume der Darstellung“. Selbst wenn ein ikonisches „Werk“ wie die vatikanische Laokoongruppe der Gegenstand des Interesses war, heißt das nicht, dass alle bildlichen Wiedergaben der Skulptur identisch aussehen. Für das „Thema“ Herkules sammelten die Antiquare eine große Bandbreite antiker Bildbeispiele verschiedenster Gattungen. Die „Person“ des Julius Caesar wiederum begegnete ihnen zwar auf Münzen, auf Gemmen und in Büsten, dennoch erfuhr sie in den antiquarischen Bildern eine Transformation, durch die sie sich von den antiken Vorbildern löste. In einer letzten Vitrine richtet sich der Blick über das griechisch-römisch geprägte Europa hinaus auf die „Antiken im globalen Kontext“.
Bernard de Montfaucon trug für die über 5.000 Einzelabbildungen in seinem Werk von 1719 Vorlagen aus über 300 Büchern zusammen. In der Datenbank des Antiquitatum Thesaurus sind bereits jetzt über 10.000 frühneuzeitliche Grafiken verzeichnet, und sie wächst stetig weiter. Die derzeit in München gezeigten 48 Bücher bieten einen konzentrierten und anschaulichen Einblick in die antiquarische Bilderwelt vom 16. bis ins 18. Jahrhundert. Die Ausstellung kann noch bis zum 10.01.2025 besichtigt werden.
Dr. TIMO STRAUCH ist Arbeitsstellenleiter des Akademienvorhabens Antiquitatum Thesaurus. Antiken in den europäischen Bildquellen des 17. und 18. Jahrhunderts an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Travelling Back: Eine erneute Betrachtung der (Wissens-)Transfers zwischen München und Brasilien im 19. Jh.
Ulrike Keuper zu den „unschuldigen Betrügereien“ des Bernard Picart
Bei Druckgrafik nach Handzeichnungen galt in der Regel alle Aufmerksamkeit den abgebildeten Zeichnungen, während deren Reproduktion selbst und somit die Kunstfertigkeit der Stecher*innen nicht wahrnehmbar sein sollten. Das 1734 postum in Amsterdam erschienene Mappenwerk „Impostures innocentes“ („Unschuldige Betrügereien“ oder: „Täuschungen“) des aus Paris stammenden Radierers Bernard Picart (1673–1733) (Abb. 1) bildet eine bemerkenswerte Ausnahme hiervon. Hinter dem, wie es im Titel weiter heißt, „Recueil d’estampes d’apres divers peintres illustres, tels que Rafael, Le Guide, Carlo Maratti, Le Poussin, Rembrandt, &c.“, verbirgt sich ein raffiniert konstruierter Œuvrekatalog, der vor allem die Lebensleistung Picarts als Zeichner, Reproduktionsstecher und Kenner in den Mittelpunkt rückt – und zugleich eine Apologie des „modernen“ Reproduktionsstichs in Wort und Bild vorlegt.
„Ulrike Keuper zu den „unschuldigen Betrügereien“ des Bernard Picart“ weiterlesenHannah Goetze über Reisen nach Neapel, mit Büchern im Kopf und in der Hand
Zu viele Italienreiseführer, -reisende und -berichte gab es wohl schon immer; schon 1791 gar so viele, dass Thomas Martyn sich beim Verfassen des seinigen zu einer initialen Rechtfertigung gedrängt fühlt, warum es denn eines weiteren überhaupt bedürfe: „It will naturally be asked, why we have more travels into Italy, when we have had too many already?“ (Thomas Martyn: A Tour through Italy. …, London 1791, S. iii).
„Hannah Goetze über Reisen nach Neapel, mit Büchern im Kopf und in der Hand“ weiterlesenSpiegel der Gewalt: Elisabeth Schulte über Harald Pickerts Zyklus „Pestbeulen Europas“
Eine nackte Frau betrachtet sich in einem kleinen Spiegel. Im Haar trägt sie ein Diadem und ihre rechte Hand ist kokett an den Hals gelegt.
Ob ihr gefällt, was sie im Spiegel sieht? Ist sie sich bewusst, dass sie ausgemergelt wirkt, dass ihre Beine von eiternden und schmerzenden Wunden übersät sind?
Hat sie die drei an Galgen baumelnden Figuren im Hintergrund bemerkt?
Jörn Wendland zu einem Blatt aus dem Zyklus „Die Pestbeulen Europas. Naziterror in Konzentrationslagern, 1939-45“ von Harald Pickert
Der Kampf des Menschen gegen einen schier übermächtigen Gegner – Harald Pickert hat ihn aufgenommen. Nicht nur als politischer Gefangener, der in verschiedenen nationalsozialistischen Zwangslagern, darunter die Konzentrationslager Dachau und Mauthausen, inhaftiert war. Sondern auch als Künstler, der nach seiner Befreiung um den richtigen Ausdruck kämpfte, Menschen, die nicht in den Lagern gewesen waren, zu informieren und zu bewegen. In den Entwürfen zu seinem geplanten Radierungszyklus „Pestbeulen Europas“ sehen wir ein solches Ringen.
Christian Fuhrmeister zur Ausstellung „Harald Pickert– Die Pestbeulen Europas. Naziterror in Konzentrationslagern, 1939-45“
Der Maler, Grafiker und Verleger Harald Pickert (Leitmeritz [heute Litoměřice] 1901 – Kufstein 1983) nahm in den 1930er Jahren mit gewissem Erfolg an verschiedenen Sudetendeutschen Kunstausstellungen teil. Im Herbst 1938 wurde er für eine Woche in der „kleinen Festung Theresienstadt“ inhaftiert, obwohl er den Einmarsch der Wehrmacht in das Sudetenland am 1. Oktober 1938 (in der Folge des „Münchner Abkommens“ vom 29. September 1938) noch begrüßt hatte. Er änderte seine Meinung zum Nationalsozialismus, vor allem zur Expansionspolitik des Regimes, im Laufe des Jahres 1939 und äußerte sich zunehmend kritisch gegenüber verschiedenen Aspekten der nationalsozialistischen Weltanschauung, weswegen er am 31. Oktober 1939 (wie schon sein Vater Karl 1938-39) als politischer Häftling in „Schutzhaft“ genommen wurde und die nächsten Jahre in den Konzentrationslagern Sachsenhausen/Oranienburg, Mauthausen, Dachau sowie Außenlagern (wie die Messerschmittwerke in Haunstetten/Augsburg) verbrachte.
Nadine Raddatz über den Fotografen Ferdinand Schmidt
EIN SCHATZFUND IN DER ZI-PHOTOTHEK
Das Team der Photothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte arbeitet gegenwärtig an der Digitalisierung ihres größten fotografischen Teilbestands: die sogenannte Topografie Deutschland. Das sind Aufnahmen von Bauwerken, aber auch beweglichen Kunstobjekten alphabetisch sortiert nach Ortsnamen. Die mit Unterstützung von Google Arts & Culture gescannte Sammlung wird seit 2019 intensiv mit Metadaten erschlossen. Ein sportliches Unterfangen: mehr als 120.000 Objekte werden derzeit betrachtet und beschrieben und sollen noch dieses Jahr online gehen.
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