Sebastian Schmidt zu Lovis Corinths Regensburger Skizzenbüchern

Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg bewahrt die umfangreichste Sammlung an Zeichenbüchern Lovis Corinths überhaupt. Im 100. Todesjahr des Künstlers konnte nun ein Bestandskatalog vorgelegt werden, der dieses bislang weitgehend unpubliziert gebliebene Konvolut erstmals vollständig vorstellt.

Mit dem Erwerb einzelner Exemplare aus dem Besitz von Corinths Kindern, Thomas (1904–1988) und Wilhelmine (1909–2001), gelang es der damaligen Ostdeutschen Galerie bereits in den 1980er-Jahren, herausragende Objekte für die eigene Sammlung zu sichern: Darunter das sogenannte „Walchensee-Skizzenbuch“, ein querformatiges Buch, das Wilhelmine Corinth im Schulunterricht als Weihnachtsgeschenk für ihren Vater angefertigt hatte. Während der Winterferien 1922/23, welche die Familie in ihrem Haus am Walchensee verbrachte, zeichnete Corinth für seine Tochter darin eine Folge von Kreideskizzen. Neben klassischen Landschaftsmotiven (Abb. 1) und einem Selbstporträt umfasst sie vor allem private Erinnerungen, die er in ganzseitigen Motiven festhielt.

Schwarz-weiße Zeichnung eines Bergsees mit Bäumen im Vordergrund und Bergen im Hintergrund, darunter handschriftlicher Text.
Abb. 1: Lovis Corinth, Skizzenbuch III (Walchensee-Skizzenbuch), Blatt 18r: Der Walchensee mit Wetterstein, 1922/23 (Digitalisat: © Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg), Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv. Nr. 17465

Nach dem Tod ihres Bruders trennte sich Wilhelmine Corinth-Klopfer 1989 auch vom „Heiligtum“ der Familie: Es handelt sich dabei um ein großformatiges Album, in welches ihr Vater Skizzenblätter von besonderer biografischer und emotionaler Bedeutung eingeklebt hatte. Zumal die älteste der enthaltenen Zeichnungen, eine Schulhofszene, schon „ca. 1873“ entstand, eröffnen die Regensburger Skizzenbücher Einblicke in das gesamte künstlerische Schaffen Corinths, das sich über ein halbes Jahrhundert erstreckt.

Einen besonderen Schwerpunkt der Sammlung bilden Skizzenbücher, die Corinth während der Studienzeit an den Akademien in Königsberg (1876–1880) und München (1880–1884) in Gebrauch hatte. Diese Bücher wurden vor allem in den 1990er-Jahren und zuletzt 2013 aus dem Handel angekauft, stammten jedoch ursprünglich ebenfalls aus dem Nachlass und tragen den von Thomas Corinth verwendeten Stempel „Atelier Lovis Corinth“.
Dazu zählt beispielsweise ein Exemplar, das zwar schon 1982 von Corinths Sohn als „Skizzenbuch II“ dem Museum zum Kauf angeboten worden war, jedoch erst 1993 erworben werden konnte. Im Rahmen des aktuellen Projekts ist es gelungen, ein einzelnes Blatt aus dem Bestand des Hauses, welches wiederum aus dem Besitz von Wilhelmine Corinth stammt, als zugehörig zu identifizieren. Auf der Vorderseite zeigt es unter anderem Corinths Selbstporträt mit Ring (Abb. 2), eine frontale Darstellung, die den Zeichner mit dem Skizzenbuch in der Hand beim Blick in den Spiegel wiedergibt.

Skizzenbuch mit vier Bleistiftzeichnungen: liegende Figur, mechanisches Gerät, stehende Person von hinten, stehende Person mit erhobener Hand.
Abb. 2: Lovis Corinth, Skizzenbuch II, Blatt 27v/28r: Interieur mit Schlafendem, Fuhrwerk / Selbstporträt mit Ring, Ziehharmonikaspieler, um 1878 (Digitalisat: © Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg), Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv. Nr. 18976, 14139

1926 hatte Charlotte Berend-Corinth, die Witwe des Künstlers, das Motiv zur Illustration der unter dem Titel Selbstbiographie herausgegebenen autobiografischen Schriften Corinths verwendet (Lovis Corinth: Selbstbiographie, Leipzig 1926, Abb. nach S. 72). Dies mag der Grund sein, weshalb das Blatt aus dem Buch herausgetrennt und fortan separat aufbewahrt worden war.


Dr. SEBASTIAN SCHMIDT ist Leiter der Grafischen Sammlung des Kunstforums Ostdeutsche Galerie in Regensburg und hat dort jüngst einen Bestandskatalog der Skizzenbücher Corinths herausgegeben (Lovis Corinth – Bildrausch. Die Skizzenbücher im Kunstforum Ostdeutsche Galerie. Dresden 2025).

TIPP


Corinths Skizzenbücher sind noch bis zum 18. Januar 2026 in der Ausstellung Lovis Corinth – Bildrausch am Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg zu sehen. Darüber hinaus ist es derzeit im Rahmen der Ausstellung Corinth werden! Der Künstler und die Kunstgeschichte auch am Zentralinstitut für Kunstgeschichte möglich, an einer Medienstation virtuell in den Skizzenbüchern zu blättern.

Ausstellungen

CORINTH WERDEN! DER KÜNSTLER UND DIE KUNSTGESCHICHTE

Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, 23.10.2025 bis 6.3.2026

LOVIS CORINTH – BILDRAUSCH

Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg, 24.10.2025 bis 18.1.2026