Auf der Suche nach der Mitte: Oliver Sukrow über das „Haus der Kultur“ in Gera

Eine Schwarzweißfotografie eines großen, kastenartigen Gebäudes mit einer großen Fensterfront. Auf dem Platz davor befinden sich einige Wasserspiel und einige Menschen. Im Hintergrund sind eine Häuserfassade und ein hoher Kirchturm zu erkennen.

Als bauliches Ergebnis der langwierigen Suche nach einem definierenden Zentrum prägt der Komplex des „Haus der Kultur“ (HdK) als urbanistische Herausforderung die Stadt Gera bis heute. Die historische Perspektivierung mag dabei helfen, zu einem produktiven Umgang mit der mittlerweile historischen Bau- und Raumsubstanz zu kommen (Abb. 1).

Gemäß der in der DDR ab den 1950er Jahren im Aufbaugesetz festgeschriebenen 16 Grundsätze des Städtebaus war „das Zentrum der Stadt der bestimmende Kern“ und als „politischer Mittelpunkt für das Leben seiner Bevölkerung“ definiert. Auch in Gera war die repräsentative Mitte, in der sich sozialistische Architektur- und Raumvorstellungen als politische Bedeutungsträger manifestieren sollten, für „politische Demonstrationen […] Aufmärsche und […] Volksfeiern“ vorgesehen.

Im Unterschied zu den großen Städten in der DDR, allen voran Ost-Berlin, Dresden oder Leipzig, war die kleine Bezirkshauptstadt in Ostthüringen (mit ca. 120.000 Einwohner*innen) ab den 1950er Jahren nicht mit innerstädtischen Magistralen und sog. „Zentralen Plätzen“ transformiert worden. Im Gegenteil: Bis in die späten 1970er Jahre bestimmte die historische Bausubstanz das Zentrum. Die großen Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaus fanden in den Randbezirken und im innenstadtnahen Bereich statt. Dennoch – oder gerade deshalb – legten die Planer*innen des Büros des Bezirksarchitekten seit den 1950er Jahren immer wieder Entwürfe für die „sozialistische Umgestaltung“ der Mitte vor und reagierten damit auf die Forderungen von Seiten der SED, neben einem zentralen Festplatz auch ein Raster aus repräsentativen Magistralen zu lancieren (Abb. 2). Dieses Konzept wurde jedoch nur fragmentarisch und über einen langen Zeitraum realisiert. Noch während der 1970er Jahre fehlte in Gera nicht nur ein neuer politischer Festplatz als Stadtmittelpunkt, sondern auch das dafür vorgesehene „Monument“ und ein repräsentativer Veranstaltungsort. Darüber konnten auch nicht die Ausstellungen der 1950er und 60er Jahre hinwegtäuschen, die der Öffentlichkeit architektonische Zukunftsblicke offerierten und ein helles, modernes und hygienisches (!) Gera visionierten.

Umso drastischer waren dann aber jene städtebaulichen Maßnahmen, die ab 1977 zur Errichtung des HdK führten: Für den immensen Bauplatz im westlichen Zentrum wurden mehrere Straßenzüge der barocken Neustadt abgetragen und der offene Mühlgraben versenkt. Das „neue Gera“ entstand auf den Ruinen des „kapitalistischen Städtebaus“ und sollte mit Licht, Luft und Sonne den Weg in die Zukunft weisen (Abb. 3). Nur zehn Jahre nach der feierlichen Eröffnung 1981 des – nach dem Palast der Republik – modernsten Kulturhauses in der DDR war dieses Versprechen jedoch überholt…

[su_animate type=“fadeInLeft“ duration=“3″ delay=“0″ inline=“no“ class=““]TIPP ZUM WEITERLESEN: Anlässlich des 40. Jubiläums des HdK in Gera 2021 | Claudia Tittel (Hrsg.): HdK – Haus der Kultur Gera, Leipzig 2021 [/su_animate]

Dr. OLIVER SUKROW ist ab Oktober 2020 Postdoc im FWF-Drittmittelprojekt „Transnationaler Schulbau nach 1945: Österreich, Slowenien, DDR“ am Forschungsbereich Kunstgeschichte der TU Wien, wo er von 2016 bis 2020 als Universitätsassistent angestellt war. 2014 bis 2016 war er Träger des Landesstipendium Baden-Württembergs am Zentralinstitut für Kunstgeschichte. 2016 erfolgte die Promotion am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg.