Christine Tauber zu Napoleon III. als Pionier des sozialen Wohnungsbaus

PARISER TROUVAILLE NR. 1

Im Dezember 1848, nach der dritten Pariser Revolution, wird Louis Napoléon, der Neffe Napoleons I., zum Präsidenten der wieder eingerichteten französischen Republik gewählt – vor allem vom durch die Februarrevolution hochgradig verunsicherten Bürgertum, das einen starken Mann als Garanten der bürgerlichen Ordnung suchte. Dass sich dieser erste Bürger im Staat dann bald zum nächsten Kaiser der Franzosen aufschwingen würde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht unbedingt abzusehen. Nicht von Ungefähr aber entwickelte Karl Marx seine Theorie vom Klassenkampf und der Revolution in Permanenz anhand der restaurativen Tendenzen in Frankreich nach 1848.

Es ist wenig bekannt, dass Louis Napoléon zunächst versuchte, die Unterstützung der Arbeiterschaft als Pionier des sozialen Wohnungsbaus durch die Einrichtung sogenannter „cités ouvrières“ nach englischem Vorbild zu gewinnen. Nur eine einzige dieser Arbeiterstädte wird 1849–53 gebaut, die Cité Napoléon in der Rue de Rochechouart im 9. Arrondissement, auch heute noch bewohnt (Abb. 1). Es handelte sich um 200 um Lichtflure mit Eisenkonstruktion gruppierte 1–3 Zimmerwohnungen mit gemeinschaftlichen sanitären Einrichtungen auf dem Gang, außerdem einer Wäscherei, Kita (crèche), Werkstätten, Läden und einem Versammlungsraum, von Louis Napoléon mit 500.000 Francs aus seiner Privatschatulle bezuschusst. Die Arbeiter wollten aber lieber nicht in einem kasernenartigen Ensemble wohnen, das von der Polizei überwacht und abends um 22 Uhr zugesperrt wurde. Nach diesem nur mäßigen Erfolg verlegte sich der nunmehr zum plebiszitären Kaiser Aufgestiegene dann auf größere Projekte.

Abb. 2: Das Rom Sixtus’ V., Fresko, 1588/90. Biblioteca Apostolica Vaticana, Vatikan | http://www.valtervannelli.it/roma-sistina/affresco-vaticano.html

„Metropolenerfahrung“ und urbanistische Einsichten hatte der Prince-Président im Londoner Exil sammeln können. So entwirft er 1852 den sogenannten „plan colorié“ für Paris, in den er in unterschiedlichen Farben generalstabsmäßig neu zu schlagende Schneisen einzeichnet. Vorbild hierfür waren unter anderem Papst Sixtus’ V. Planungen für Rom aus den 1580er Jahren: Der Papst sah ein sternförmiges System von mit Obelisken als Blickpunkten geschmückten Plätzen vor den Hauptbasiliken und diese verbindenden gradlinigen Straßenzügen vor, mit denen er den Stern aus seinem Papstwappen in imperialem Gestus in den Stadtkörper einzuschreiben gedachte (Abb. 2).

Abb. 2: Moderne Einzeichnung der vom Baron Haussmann durch Paris zu schlagenden Schneisen aus dem Plan colorié Napoleons III. (https://de.maps-paris.com/haussmann,-paris-karte)

Hauptziel von Napoleons koloriertem Plan für Paris war es, infrastrukturell wichtige und weit voneinander entfernte Plätze der Stadt verkehrstechnisch miteinander zu verbinden und Blickachsen in der noch weitestgehend mittelalterlich geprägten Stadtstruktur zu schaffen (Abb. 3). Hier wird der päpstliche Ansatz sozusagen säkularisiert, denn in Paris sind es nicht mehr Kirchen, sondern Bahnhöfe, Markthallen, die Börse oder das Opernhaus – die neuen Tempel des Bürgertums – die die zu verbindenden wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Pole bilden. Der Gestus ist freilich nicht minder imperial als der des Pontifex.

Abb. 3: Zeitgenössische Lithografie: Maison ouvrière construite dans le parc, aux frais et sur les dessins de l’empereur, Exposition Universelle, Paris, 1867 ( Foto: Wikimedia Commons)

Eine späte Reminiszenz an die Sozialromantik der frühen Arbeiterstädte findet sich dann auf der Weltausstellung von 1867. Dort suchte Napoleon III. noch einmal den Eindruck zu erwecken, die Arbeiterwohlfahrt läge ihm am Herzen: Es gab nicht nur eine Ausstellung zur Geschichte der Arbeit, sondern vor allem wurde ein Architekturwettbewerb für preiswerte Arbeiterwohnungen („maisons de 3000 francs“) ausgelobt. In Sichtweite des Ausstellungsgeländes ließ der Kaiser eine von ihm selbst entworfene „maison ouvrière“ errichten. Außerdem wurden preisreduzierte Anreisemöglichkeiten mit der französischen Eisenbahn ausgehandelt, im sog. „Restaurant Omnibus“ konnte der Arbeiter für 1 Franc ein viergängiges Menü zu sich nehmen, wovon täglich rd. 80.000 verkauft wurden.

Dies war die Pariser Trouvaille Nr. I, Fortsetzung folgt…

Prof. Dr. CHRISTINE TAUBER ist die verantwortliche Redakteurin der Kunstchronik am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Professorin am Kunsthistorischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München.