Leon Krause über Mela Escherich (1877–1956) und die Mystik Jawlenskys

„Ueber Zweck, Notwendigkeit, Naturwahrheit, mit einem Worte über das Wesen der Kunst werden die Meinungen ewig gegeneinander stehen, solange wir uns nicht eingehender mit dem Wesen der Natur beschäftigen. Nicht der uns umgebenden, sondern unsrer eignen“, so zumindest formuliert es die deutsche Kunsthistorikerin Mela Escherich in ihrem Artikel Kunst als Offenbarung der Natur (Mela Escherich: Kunst als Offenbarung der Natur, in: Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaften, Heft 3, München 1903, S. 270-274, 308–318, hier: S. 270, https://doi.org/10.11588/diglit.47725.61). Vor dem Hintergrund einer solchen Betonung der eigenen Gefühlswelt, die bis hin zu einer Überhöhung ins Mystische reicht, sollte es nicht verwundern, dass sie den Expressionismus als eine persönliche Erleuchtung empfand. Besonders das Werk des russisch-deutschen Malers Alexej von Jawlensky (1864–1941) spielt dabei eine wichtige Rolle. Escherich und Jawlensky verband, wie wir später sehen werden, eine Freundschaft, die weit über die bloße gegenseitige Anerkennung hinausging.

Foto des Gesichts einer Frau. Sie schaut schräg nach oben und lächelt leicht.
Abb. 1: Porträt Mela Escherichs, um 1930, Jana Dennhard: Der Maler Alexej von Jawlensky und die Kunsthistorikerin Mela Escherich, in: Roman Zieglgänsberger/ Jana Dennhard (Hg.): Alles! 100 Jahre Jawlensky in Wiesbaden, München 2021, S. 366

Mela Escherich (Abb. 1) (eigentlich Emilie Welzhofer) kam als Tochter eines Historikers und einer Schriftstellerin in München zur Welt. Nach ihrer erfolgreichen Promotion und dem Umzug in die hessische Kurstadt Wiesbaden publizierte sie, wie bereits ihre Mutter, unter deren Mädchenname Escherich und schrieb unter anderem für den Kulturteil der Wiesbadener Zeitung Nassovia sowie für renommierte kunsthistorische Fachzeitschriften wie Die Kunst für Alle, Der Cicerone oder die Kunstchronik. Zugleich war sie die erste, die das berühmte Werk Das fließende Licht der Gottheit, der christlichen Mystikerin Mechthild von Magdeburg aus dem 13. Jhdt. ins Neudeutsche übersetzte (Berlin 1909). Neben Rezensionen aktueller Wiesbadener Ausstellungen lag ihr Hauptaugenmerk auf der Verbindung von Kunst, Mystik und Natur, wobei sie Kunstwerke vom Mittelalter bis in ihre Gegenwart behandelte. Ergänzend verfasste sie Künstlermonografien und -bibliografien, wie z.B. zu Matthias Grünewald (Straßburg 1914) oder zu Hans Baldung (Straßburg 1916). Dabei thematisieren viele ihrer Schriften Mythen, Sagen und Märchen und untersuchen, wie sich diese auf die Kunst auswirken.

In ihrem Naturverständnis ist der Mensch nur ein Teil der Welt. Auf gleiche Weise ist auch die Kunst aufs Engste mit der Natur verbunden. Sie geht sogar noch einen Schritt weiter und erklärt, dass alle Kunst- und Stilformen reiner Ausdruck von Naturformen seien, denn „Der Mensch erfand sie nicht, er fand sie.“, doch „Er fand sie nicht in der Natur: er fand sie in sich: weil er Teil vom Ganzen ist.“ (Mela Escherich: Natur und Kunst, in: Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur, Heft 6, München 1937, S. 157, 163, hier: S. 157, https://doi.org/10.11588/diglit.16484.45).

Die Schriften Escherichs heben einen Aspekt immer wieder hervor: „Kunst ist Empfindungsäusserung.“ (Escherich, 1903, S. 270). Um als solche bis in alle Ewigkeit zu überdauern, muss sie über die Darstellung des Sichtbaren hinausgehen, sich nach Innen richten und die Betrachter*innen dieses Innere erleben lassen. In ihrem Aufsatz Kunst und Mystik aus dem Jahr 1931 formuliert sie ihre Gedanken zur Vollendung der Kunst: „Sie beginnt eigentlich erst da, wo sie aufhört.“ (Mela Escherich: Kunst und Mystik, in: Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur, Heft 12, München 1931, S. 364-366, 378, hier: S. 366, https://doi.org/10.11588/diglit.16478.100).

Foto einer Seite aus einem Buch. Es ist nur Text zu sehen.
Abb. 2: Der Beginn von Mela Escherichs Artikel Kunst und Mystik aus der Zeitschrift Die Kunst für Alle, München 1931, https://doi.org/10.11588/diglit.16478.100 [zuletzt abgerufen am 07.08.2024].

Eben jener Artikel (Abb. 2) findet auch in einem Brief Jawlenskys an Escherich Erwähnung. Der Maler berichtet, dass er den Text bereits zum wiederholten Male lese und lobt Escherichs Überlegungen (Jana Dennhard: Der Maler Alexej von Jawlensky und die Kunsthistorikerin Mela Escherich, in: Roman Zieglgänsberger/ Jana Dennhard (Hg.): Alles! 100 Jahre Jawlensky in Wiesbaden, München 2021, S. 365-371, hier: 367). Bemerkenswert ist, dass die Kunsthistorikerin neben den in ihren Texten immer wiederkehrenden Malern wie Matthias Grünewald oder El Greco auch Alexej von Jawlensky als einen Meister der „mythischen Vision“ bezeichnet (Escherich 1931, S. 364).

Als Jawlensky 1922 nach Wiesbaden kam, freundeten sich die beiden schnell an und führten einen regen intellektuellen Austausch, der aus zahlreichen Briefen und Widmungen ersichtlich wird. Da Jawlensky zu dieser Zeit noch nicht etabliert war und trotz einiger Ausstellungen unter Geldproblemen litt, versuchte Mela Escherich den Maler einem breiteren Publikum bekanntzumachen, indem sie immer wieder Artikel über ihn schrieb. Selbst dann noch, als der Künstler im NS-Regime bereits öffentlich diffamiert worden war. Weiter engagierte sie sich in der von Hanna Bekker vom Rath (1893–1983), gegründeten Gesellschaft der Freunde der Kunst von Alexej von Jawlensky und unterstützte ihren Freund so auch finanziell. Zum Dank erhielt sie mehrere Werke Jawlenskys, teilweise mit persönlichen Widmungen. Einer der berühmten Abstrakten Köpfe Jawlenskys zeigt laut seinem Titel sogar das Antlitz Escherichs (Abb. 3).

Gemälde. Ein Gesicht einer Frau, nur mit wenigen groben Strichen gemalt. In Brauntönen.
Abb. 3: Alexej von Jawlensky, Abstrakter Kopf: Bildnis Mela Escherich, 1927, Öl auf Pappe, 42,6 x 32,6 cm, Alexej von Jawlensky artist QS:P170,Q156426, Alexej von Jawlensky – Abstrakter Kopf, Bildnis Mela Eschrich, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Für die Kunsthistorikerin vermutlich eine ganz besondere Ehre, waren es doch genau diese Abstrakten Köpfe, die sie für besonders meditativ, mystisch und visionär hielt (Dennhard 2021, S. 366).

Escherich pflegte aber nicht nur zur Familie Jawlensky engen Kontakt, sie war in der Wiesbadener Kunstszene gut vernetzt; Künstler wie Hans Völcker (1865–1944) oder James Pitcairn-Knowles (1863–1954), aber auch Persönlichkeiten aus dem Museumsbetrieb wie Clemens Weiler (1909–1982) zählten zu ihrem engen Bekanntenkreis. Zusammen mit letzterem, dem späteren Direktor des Museums Wiesbaden, erhielt Escherich auch den Auftrag zur Neuordnung der Museumssammlung. Trotz ihrer guten Kontakte gelang es ihr nur mit mäßigem Erfolg, das Werk Jawlenskys in der Nachkriegszeit populär zu machen. Nach dem Tod des Malers war es ihrer Expertise zu verdanken, dass die weit verstreuten Werke des Malers wiederaufgefunden werden konnten. Sie selbst arbeitete lange Zeit an einer Jawlensky-Biografie inklusive eines umfangreichen Werkkatalogs. Auch wenn das Projekt bis zu ihrem Tod 1956 nicht finalisiert werden konnte, flossen wohl aber viele der Ergebnisse in spätere Forschungsbeiträge ein (Dennhard 2021, S. 369).

Mela Escherich hat aus heutiger Sicht durch ihre Schriften und ihr Engagement entscheidend zur Rezeption von Jawlenskys Werk beigetragen. Umso bedauernswerter ist es, dass ihre kunsthistorischen Forschungen heute kaum mehr wahrgenommen werden. Man sollte Escherich daher nicht weiter nur als eine von Jawlenskys „Nothelferinnen“ betrachten, denn so verschließt man die Augen vor dem umfangreichen Schriftwerk einer scharfsinnigen und unbeirrbaren Kunsthistorikerin.

LEON KRAUSE ist studentische Hilfskraft am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Teil der Onlineredaktion.

Die Bibliographie erfasst für den Zeitraum bis um 1930 systematisch Texte von Frauen, die über Kunst und Kunstgeschichte schreiben. Ziel ist es, die Schriften dieser Autorinnen nach und nach digital zugänglich zu machen. Sie sollen so im kunsthistorischen Kanon sichtbarer und leichter verfügbar werden. Zugleich werden deren Breite und Vernetzung, aber auch Hürden und Grenzen erkennbar.

Travelling Back: Eine erneute Betrachtung der (Wissens-)Transfers zwischen München und Brasilien im 19. Jh.

SABRINA MOURA

>> Eine englische Übersetzung des Beitrags ist auf dem Blog des Käte Hamburger Forschungszentrums global dis:connect veröffentlicht. >>

„Travelling Back: Eine erneute Betrachtung der (Wissens-)Transfers zwischen München und Brasilien im 19. Jh.“ weiterlesen

Hannah Rathschlag über die Künstlerin und Literatin Mary Eliza Haweis (1848–1898) und (guten) Kunstgeschmack im Viktorianischen Zeitalter in England

„Every style has a beauty and interest of its own; […] is worthy attention, and is sure to teach us something”. Diese Aussage formulierte Mary Eliza Haweis in dem Vorwort ihres Buches Beautiful Houses. Being a Description of certain well-known Artistic Houses (1882), wodurch ihre reflektierte und präzise Beobachtungsgabe widergespiegelt wird.

„Hannah Rathschlag über die Künstlerin und Literatin Mary Eliza Haweis (1848–1898) und (guten) Kunstgeschmack im Viktorianischen Zeitalter in England“ weiterlesen

Sarah Debatin über Helen Zimmern (1846–1934), Nietzsches englische Freundin

„Komisch! Man hat gut sich wehren gegen Frauen-Emancipation: schon ist wieder ein Musterexemplar eines Litteratur-Weibchens bei mir angelangt, Miss Helen Zimmern,“ schreibt der bekennende Frauenfeind Friedrich Nietzsche 1886 aus Sils Maria an seinen ebenfalls schriftstellerisch tätigen, langjährigen Freund Peter Gast (eigentlich Heinrich Köselitz, 1854–1918). (Mario Leis: Frauen um Nietzsche, Hamburg 2000, S. 100) Neun Wochen verbringen Nietzsche und Zimmern als Tischnachbarn und auf Spaziergängen in regem Austausch, und auch in späteren Jahren treffen sie in dem Schweizer Kurort immer wieder aufeinander. Auf Nietzsches dringenden Wunsch hin ist Helen Zimmern auch diejenige, die, zunächst zögerlich, zwei seiner Werke ins Englische übersetzt und ihm so zu größerer Bekanntheit in Großbritannien verhilft. Über sein Verhalten gegenüber Frauen schreibt sie später im Rückblick: „Es gibt anscheinend Männer, die über die Frauen Theorien haben, die sie kaum in die Praxis übersetzen.“ (ebd.)

„Sarah Debatin über Helen Zimmern (1846–1934), Nietzsches englische Freundin“ weiterlesen

Sarah Debatin über Luise von Kobell

Vielen schreibenden Frauen des 19. Jahrhunderts blieb fachliche und gesellschaftliche Anerkennung zeitlebens versagt. Eine rühmliche Ausnahme ist die Münchner Schriftstellerin Luise von Eisenhart (1828–1901), die unter ihrem Geburtsnamen Luise von Kobell nicht nur Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften wie die Allgemeine Zeitung, Über Land und Meer und die Fliegenden Blätter, sondern auch monographische Schriften zu kunst-, literatur- und kulturhistorischen Themen verfasste. Sie entstammte der bekannten Künstler- und Beamtenfamilie Kobell und genoss eine hervorragende Ausbildung für eine Frau ihrer Zeit. Im Gefolge König Ottos verbrachten Luise und ihre Eltern 1834 ein Jahr in Griechenland. Luises Vater, Franz von Kobell (1803–1882), war u.a. Schriftsteller und als Geologe Mitarbeiter und ab 1880 Leiter der Mineralogischen Staatssammlung. Ihre Heirat mit August von Eisenhart (1826–1905), einem Juristen, der schnell die politische Karriereleiter erklomm und Kabinettssekretär König Ludwigs II. wurde, festigte ihren Status. Bezeichnenderweise begann Luise von Kobell mit dem Schreiben erst, nachdem die Kinder erwachsen waren und ihr Mann sich aus seinen öffentlichen Ämtern zurückgezogen hatte.

„Sarah Debatin über Luise von Kobell“ weiterlesen

Alexandra Avrutina über Emilie Bach: zwischen Anpassung und Grenzüberschreitung

„Nun aber gehen die Verirrungen gegen das Stylrichtige und Vernünftige weiter. Nicht genug damit, dass sich Frauen der Täuschung hingeben, Zeichnerinnen und Malerinnen zu sein, sind sie mitunter so kühn und unternehmend und möchten so nebenbei auch ‚Bildhauer‘ sein“ (Emilie Bach: Die weibliche Handarbeit. Vortrag … gehalten in Reichenberg am 22. September 1880, Reichenberg 1880, S. 15).

„Alexandra Avrutina über Emilie Bach: zwischen Anpassung und Grenzüberschreitung“ weiterlesen

Ann-Kathrin Fischer über die schreibenden Töchter der Familie Patin

Mit aufmerksam-interessiertem Blick wendet sich die achtzehnjährige Carla Caterina (1666–1744) ihrem Vater Charles Patin (1633–1693) im Gespräch zu. Daneben sitzt ihre Mutter Madeleine (1642–1722), selbst Schriftstellerin, die in der linken Hand ein Medaillonbildnis ihres Schwiegervaters Guy Patin hält. Rechts davon ist die ältere, neunzehnjährige Schwester Gabriella Carla (1665–1751) platziert. Noël Jouvenet (1650–1698) hat dieses Familienbildnis 1684 gemalt. Heute verschollen, ist das Gemälde durch einen Stich des Joseph Juster (um 1690 in Venedig tätig) überliefert (Abb. 1), der 1691 in dem aufwendig illustrierten Folioband Tabellae selectae ac explicatae bzw. Pitture scelte e dichiarate von Carla Caterina Patina publiziert wurde. Die Druckgrafik stellt zugleich das einzig dokumentierte Porträt der Autorin dar.

„Ann-Kathrin Fischer über die schreibenden Töchter der Familie Patin“ weiterlesen

Hanna Lehner zu Félicie d’Ayzac: Eine Frau auf dem Dach von Saint-Denis

Drinnen wirkt es beengt, es ist dunkel (Abb. 1). Die Wiege zu Füßen, der Rosenkranz in der Hand und die Marienstatue an der Wand signalisieren den konventionell begründeten ‚Zuständigkeitsbereich‘ der sitzenden jungen Frau, die sehnsüchtig durch das Fenster nach draußen blickt. Dort hingegen ist alles licht und luftig, in der Ferne zeichnet sich angeschnitten die Silhouette der Kathedrale von Saint-Denis ab. Eine starke Böe bringt aber auch Bewegung ins Zimmer und bläht sogar die schweren Vorhänge auf. Die Lithographie erschien 1833 in dem Gedichtband Soupirs poétiques (Poetische Seufzer), bei der Dargestellten handelt es sich um die Verfasserin Félicie d’Ayzac. Sie wird aufstehen und nach draußen gehen.

„Hanna Lehner zu Félicie d’Ayzac: Eine Frau auf dem Dach von Saint-Denis“ weiterlesen

Christine Tauber über Aimé-Jules Dalous „Femme forte“ auf der Place de la Nation

PARISER TROUVAILLE NR. 8

Wer heutzutage zur Pariser Place de la Nation strebt, tut dies zumeist, um möglichst schnell in die Métro oder in die RER zu kommen. Kunsthistorische Exkursionsgruppen widmen ihre Aufmerksamkeit höchstens dem Ensemble von Claude Nicolas Ledoux’ Zollhäusern, den Barrières du Trône mit ihren beiden Triumphsäulen, als herausragendem Beispiel für die (anachronistisch so genannte) Revolutionsarchitektur aus den späten 1780er Jahren. Dem Denkmal auf der Platzmitte schenkt kaum jemand einen Blick.

„Christine Tauber über Aimé-Jules Dalous „Femme forte“ auf der Place de la Nation“ weiterlesen

Marta Koscielniak über das Vorher-nach?her des Rubens-Gemäldes „Helene Fourment mit ihrem erstgeborenen Sohn Frans“ aus der Alten Pinakothek im Bildarchiv Bruckmann

Die Reproduktionsfotografien des Bruckmann Bildarchivs halten historische Zustände von Kunstwerken fest, die teilweise auffallend von dem abweichen, wie wir diese Werke heute kennen. Ein besonders spektakuläres Beispiel zeigt sich in Rubens’ Bildnis seiner zweiten Ehefrau Helene Fourment mit dem gemeinsamen Sohn Frans aus der Alten Pinakothek in München.

„Marta Koscielniak über das Vorher-nach?her des Rubens-Gemäldes „Helene Fourment mit ihrem erstgeborenen Sohn Frans“ aus der Alten Pinakothek im Bildarchiv Bruckmann“ weiterlesen

Christine Tauber über Paul Delaroches Parnass in der Ecole des Beaux-Arts

PARISER TROUVAILLE NR. 7

Das Allerheiligste der Pariser Ecole des Beaux-Arts ist, wie bei Allerheiligsten üblich, nicht frei zugänglich: Handelt es sich doch bei der zwischen 1837 und 1841 von Paul Delaroche ausgemalten Salle d’honneur nicht nur um den Prüfungssaal der Kunsthochschule, sondern auch um den Ort, an dem die jährliche Preisverleihung des prix d’honneur stattfand.

„Christine Tauber über Paul Delaroches Parnass in der Ecole des Beaux-Arts“ weiterlesen

Michael Falser zu globalen Räumen des deutschen Kolonialismus. Begriffe und Methoden – Case-Studies – disziplinäre Querverbindungen

Mit den 1880er Jahren stieg das Deutsche Reich neben Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden zur viertgrößten Kolonialmacht auf. Spezifikum des Deutschen Kolonialismus war, dass er mit Kolonien bzw. Schutzgebieten in Afrika (Deutsch Ost- bzw. Südwestafrika, Kamerun, Togo), Ostasien/China (Tsingtau-Kiautschou) bis Ozeanien (Neuguinea, Kaiser-Wilhelmsland, Marianen, Karolinen, Marshall-Inseln bis Samoa) geopolitisch ein globales Projekt war (Abb. 1), wie es die Karte aus Meyers Konversationslexikon von 1900/1 im Artikel „Kolonien“ einem breiteren Publikum „im Größenvergleich zum Mutterlande“ vor Augen führte.

„Michael Falser zu globalen Räumen des deutschen Kolonialismus. Begriffe und Methoden – Case-Studies – disziplinäre Querverbindungen“ weiterlesen

Krista Profanter über Bier trinkende und Pfeife rauchende Künstler im Münchner Café Fink

Eines der interessantesten [Kaffeehäuser] ist das Fink’sche, die sogenannte Malerkneipe, vor dem Carlsthore. Hier versammeln sich die jungen Maler, und oft schon sind Genrebilder mit dem Beifall der Kunstwelt beehrt worden, deren Originale in diesem unansehnlichen Winkel zusammengedrängt sitzen. Vor einigen Jahren hat ein junger Mann, der leider zu früh der Kunst entrissen wurde, die ganze Malerkneipe, mit Allem, was d’rum und d’ran hängt, ganz trefflich gemalt. Ein Bild, welches mehre Ausstellungen zierte, und großen Beifall fand.

„Krista Profanter über Bier trinkende und Pfeife rauchende Künstler im Münchner Café Fink weiterlesen

Julia Bondl zu Meissonier und Courbet: Pflastersteine im Pariser Salon 1850/51

Es erscheint höchst unwahrscheinlich, dass der gemeine Pflasterstein je Thema im Pariser Salon gewesen sein könnte – und doch fand er mithilfe zweier Werke nach den Unruhen im Jahr 1848 seinen Weg in den Pariser Salon von 1850/51: Souvenir de guerre civile von Ernest Meissonier und Gustave Courbets Les Casseurs de pierres , beide aus dem Jahr 1849.

„Julia Bondl zu Meissonier und Courbet: Pflastersteine im Pariser Salon 1850/51“ weiterlesen

Christine Tauber über Gegenporträts Napoleons

PARISER TROUVAILLE NR. 6

Jacques-Louis Davids Napoleon überquert den großen Sankt Bernhard am 20. Mai 1800 (Abb. 1) war eine in der Pose des siegreichen Bezwingers einer erhabenen Gebirgswelt eingefrorene Ikone der Macht. Die große Pathosfigur aus sich aufbäumendem, dicht am Abgrund fest auf dem schräg ansteigenden Felsen stehenden Pferd und unbeugsam zur Passhöhe weisendem Reiter gerinnt hier zum wirkmächtigen Emblem, die Figur wird selbst zu einer Art Naturereignis.

„Christine Tauber über Gegenporträts Napoleons“ weiterlesen

Julia Viehweg über Bonaventura Genellis Karikaturen

„Im Jahre 1822 trat ich meine Reise nach Rom an, allwo ich mich zehn Jahre aufhielt […]. Hier waren unter den Lebenden mir besonders interessant der Dichter und Maler Müller, der Tyroler Koch und der Landschafter Reinhart.“

(Lionel von Donop, Buonaventura Genelli und die Seinen. Manuskript in neun Partien mit Ergänzungen von Werner Teupser. Geordnet, aufgearbeitet und in Maschinenschrift erfasst durch Hans Ebert. Leipzig 1958. V/1, fol.1)

„Julia Viehweg über Bonaventura Genellis Karikaturen“ weiterlesen

Christine Tauber zu Napoleons Staatsporträts

PARISER TROUVAILLE NR. 5

Im Rahmen der forcierten Bildnispolitik Napoleons spielen seine Staatsporträts naturgemäß eine zentrale Rolle. Die „Königsklasse“ des Porträts dient wie keine andere Bildgattung der Selbstdarstellung des Herrschers. Daher ist die richtige Wahl des- oder derjenigen Künstler, der bzw. die den Machthaber porträtieren (dürfen), von herausragender Bedeutung. Der Herrscher als Auftraggeber muss seine Imagegestaltung gewissermaßen an den Künstler delegieren, da er selbst zur Erzeugung symbolischen Kapitals mit künstlerischen Mitteln nicht in der Lage ist. Er braucht also eine Art professionellen Imagegestalter, in dessen Produktion er tunlichst auch nicht allzu sehr durch überstrikte Detailvorgaben intervenieren sollte, weil er sonst keine autonome und damit ästhetisch wirkmächtige Kunst bekommen wird, die seinen Bedürfnissen von Herrschaftsrepräsentation und -legitimation in idealer Weise entspricht.

„Christine Tauber zu Napoleons Staatsporträts“ weiterlesen

Christine Tauber über Napoleons Triumphzüge und ihre massenmediale Verbreitung

PARISER TROUVAILLE NR. 4

Kaum ein europäischer Herrscher hat eine solch prononcierte Bildnispolitik betrieben wie der genealogisch nicht legitimierte Aufsteiger Napoleon Bonaparte. Zugleich sorgte er für die massenmediale Verbreitung seines Porträts in umfänglichst denkbarem Maße: über Alltagsgegenstände, kunstgewerbliche Objekte wie Vasen und Übertöpfe für den großbürgerlichen (bzw. kleinadeligen) Salon bis hin zu Medaillen, in denen seine „imago“ nach dem Muster römischer Imperatorenporträts standardisiert wurde. Das immer gleiche Bildnis soll sich den Untertanen einprägen und den abwesenden Repräsentierten, der in seinem Herrschaftsgebiet nicht überall gleichzeitig sein konnte, in effigie vertreten, um seinen Machtanspruch sichtbar und demonstrativ aufrecht zu erhalten. Hierbei findet man bei Napoleon das Paradox, dass zur Darstellung eines Zeitgenossen in idealisierender Absicht vor allem auf antike Themen und Motive zurückgegriffen wurde, also alte Helden und ihre Darstellungsmodi genutzt wurden, um den neuen/gegenwärtigen Held noch strahlender erscheinen zu lassen.

„Christine Tauber über Napoleons Triumphzüge und ihre massenmediale Verbreitung“ weiterlesen

Christine Tauber über eine vergessene Pilgerstätte für Royalisten

PARISER TROUVAILLE NR. 3

Selbst ausgewiesene Paris-Kenner kann man in Erstaunen versetzen, wenn man sie ins 17. Arrondissement zur Chapelle Notre-Dame de la Compassion führt. Diese auch Chapelle Saint-Ferdinand genannte Kapelle in neobyzantinischem Stil wurde 1843 als Memorialstätte für den ältesten Sohn des Bürgerkönigs Louis-Philippe, Ferdinand Philippe, Duc d’Orléans, an derjenigen Stelle errichtet, an der dieser bei einem Unfall mit einer durchgehenden Pferdekutsche am 13. Juli 1842 zu Tode kam.

„Christine Tauber über eine vergessene Pilgerstätte für Royalisten“ weiterlesen

Julia Viehweg über Wilhelm Waiblinger und das illustrierte Taschenbuch

„[…] Nun wollen wir uns aber recht breit mit beiden Ellenbogen auf den Schreibtisch legen, und mit wahrem Behagen, mit wahrer Herzenslust das allerliebste einzige Bildchen beschreiben. Das ist unserem Lindau über die Maßen glücklich gelungen, und er befand sich hier in seinem eigentlichen Element. […] Hier ist er unter Bauern, in einer Osterie, bei Mandolin- und Tamburinschall

(Wilhelm Waiblinger, „Erklärung der Kupfer“, in: Werke und Briefe, Bd. 3, Verserzählungen und vermischte Prosa, hrsg. von Hans Königer, Stuttgart 1986, S. 417)

„Julia Viehweg über Wilhelm Waiblinger und das illustrierte Taschenbuch“ weiterlesen

Wolfgang Augustyn über ein Exlibris

Wer die Bestände der Bibliothek im Zentralinstitut für Kunstgeschichte konsultiert, wird immer wieder durch Besitzvermerke daran erinnert, dass viele alte Bücher eine bewegte Geschichte hinter sich haben. An die Vorbesitzer erinnern Namenseinträge oder Stempel, häufig ein Exlibris. Schlägt man nun die 1630 in Padua erschienene, später wohl in England neu gebundene und dabei rundum beschnittene Ausgabe der „Iconologia“ des Cesare Ripa (um 1555–1622) auf (Abb. 1), fällt auf der Innenseite des Deckels ein Stahlstich ins Auge: das Exlibris eines Vorbesitzers (Abb. 2), der wohl eine umfangreiche Bibliothek besaß, denn sein Besitzvermerk ist an vielen Orten nachweisbar.

„Wolfgang Augustyn über ein Exlibris“ weiterlesen

Julia Bondl über Courbet und Vercingétorix

Nous ne chavons pas où ch’est, Alégia!“

*René Goscinny, Albert Uderzo, Astérix: Le bouclier Arverne, 1968, S. 19.

Alésia – ein denkwürdiger Ort für den französischen Nationalstolz; auch wenn im Comic Astérix Gegenteiliges behauptet wird, zerschlagen dort Cäsars Truppen 52. v. Chr. den Aufstand der gallischen Stämme unter Vercingétorix. Durch Schriftsteller wie Amedée Thiery (1828, Histoire des Gaulois), oder Henri Martin (1837–54, Histoire de France) wird der Arvernerfürst im 19. Jahrhundert zum französischen Nationalhelden erhoben. Er steht für die Geschichte einer Rebellion, die zum Abstammungsmythos der Franzosen gesponnen wird (vgl. Michel Reddé et al., Alesia: vom nationalen Mythos zur Archäologie, Mainz 2006, S. 61f.). Ausgangspunkt für viele damalige Forscher ist Cäsars De bello gallico. Darin verweist der Feldherr auf Druiden und ihre Kultstätten wie freistehende Steine oder kräftige Eichen (vgl. Detert Zylmann, Die Menhire: Das Geheimnis um die kultisch-religiösen Steinmale, Hamburg 2014, S. 73f.).

„Julia Bondl über Courbet und Vercingétorix“ weiterlesen

Christine Tauber zur Frage, wieso Manet die Weltausstellung von außen malte

PARISER TROUVAILLE NR. 2

Edouard Manet malte das Gelände der Pariser Weltausstellung von 1867 auf dem Marsfeld aus der Feldherrenperspektive (Abb. 1), so, als handle es sich um ein fremdes, zu eroberndes Terrain.

„Christine Tauber zur Frage, wieso Manet die Weltausstellung von außen malte“ weiterlesen

Wolfgang Augustyn über den Künstler als literarische Figur

Über Künstler und ihre Arbeit liest man in Quellen und der biographischen Literatur. Manchmal gibt es sogar Lebenserinnerungen der Künstler, die oft nicht nur eine Chronik „in eigener Sache“ sind, sondern auch Selbstvergewisserung. Sie dokumentieren häufig, wie sich der Künstler verstanden wissen wollte, der nicht selten damit gesellschaftliche und kulturelle Deutungsmuster und Stereotypen fortschrieb. Diese finden sich auch in literarischen Werken (Roman, Erzählung und Schauspiel), zum Beispiel in biographischen Romanen wie zu Leonardo da Vinci (Dmitri Mereschkowski, Die auferstandenen Götter, 1901), Michelangelo (Irving Stone, The Agony and the Ecstasy, 1961) oder Camille Pissaro (Irving Stone, Depths of Glory, 1985).

„Wolfgang Augustyn über den Künstler als literarische Figur“ weiterlesen

Christine Tauber zu Napoleon III. als Pionier des sozialen Wohnungsbaus

PARISER TROUVAILLE NR. 1

Im Dezember 1848, nach der dritten Pariser Revolution, wird Louis Napoléon, der Neffe Napoleons I., zum Präsidenten der wieder eingerichteten französischen Republik gewählt – vor allem vom durch die Februarrevolution hochgradig verunsicherten Bürgertum, das einen starken Mann als Garanten der bürgerlichen Ordnung suchte. Dass sich dieser erste Bürger im Staat dann bald zum nächsten Kaiser der Franzosen aufschwingen würde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht unbedingt abzusehen. Nicht von Ungefähr aber entwickelte Karl Marx seine Theorie vom Klassenkampf und der Revolution in Permanenz anhand der restaurativen Tendenzen in Frankreich nach 1848.

„Christine Tauber zu Napoleon III. als Pionier des sozialen Wohnungsbaus“ weiterlesen

Ulrich Pfisterer zu erlösender Stimmung – oder: Woher kommt Alois Riegls Blick auf Alpen und Meer?

Wer sehnt sich nicht nach einer „erlösende[n] Stimmung“? Für den Kunsthistoriker Alois Riegl (1858–1905) bestand „das Ziel aller modernen Malerei“ im Zeitalter naturwissenschaftlicher Weltanschauung im ‚Herbeizaubern‘ eines solchen hoffnungsvollen Gemütszustandes, hervorgerufen durch die „beruhigende Überzeugung vom unverrückbaren Walten des Kausalitätsgesetzes“.

„Ulrich Pfisterer zu erlösender Stimmung – oder: Woher kommt Alois Riegls Blick auf Alpen und Meer?“ weiterlesen