Bernard de Montfaucon folgt in seinem L‘Antiquité expliquée – einer „Bilder-Enzyklopädie“ von Antiken-Darstellungen, die von 1719 bis 1724 in 15 Folio-Bänden und mit über 1.000 Kupferstich-Tafeln in Paris publiziert wurde – auch den „Wanderstraßen“ (vgl. Blogbeitrag: Timo Strauch über „Wanderstraßen der Antike“ (11.12.2024)) der Herkulesdarstellungen. In zehn Kapiteln des zweiten Bandes werden ganze 88 Darstellungen des Heros gezeigt. Sie reichen vom jungen Herkules mit der Schlange (Taf. 123) bis hin zum Herkules Farnese (Taf. 125). Ergänzend dokumentieren zahlreiche Abbildungen seine Heldentaten (Taf. 126, 127, 131–133). Weitere stellen Herkules in seiner Funktion als Musagetes, den Gefährten und Beschützer der Musen, dar wie Taf. 137, die später in der im Umfang reduzierten deutschen Ausgabe von 1757 wiederholt wird (Abb. 1).
Zunächst beherrschten Stiche nach der um 1546 in Rom aufgefundenen Statue des sog. Herkules Farnese die Vorstellung von dem Heros. Dies belegen die in Antonio Lafreris Speculum Romanae Magnificentiae aufgenommenen großformatigen Blätter (ca. 1540–80), Giovanni Battista Cavalieris erfolgreiche Antiquae statuae urbis Romae (vgl. die Ausgabe von 1585) oder Hendrick Goltzius‘ Stiche (um 1592). Die Stiche vom Herkules Farnese in der Raccolta di statue antiche e moderne von 1704 sind dann deutlich kleiner (Taf. 49 und 50). Jan de Bisschop liefert in seinen Signorvm Vetervm Icones von 1668/69 gar vier Darstellungen des Herkules Farnese (Abb. 2). Auch Giulio Cesare Capaccio berücksichtigt die antike Statue in einem kleinen Büchlein von 1652 (La vera antichita di Pozzvolo…, S. 63).
Die Darstellung des Herkules als Gefährte der Musen wird erst durch Jean-Jacques Boissards Romanae Vrbis Topographia von 1598 (Bd. 4) bekannt: Der Halbgott hat hier die Keule und das Löwenfell beiseitegelegt und dafür eine Lyra in der Hand (Abb. 3). Zu seinen Füßen findet sich eine Satyrnmaske, die ebenso wie das Musikinstrument und die Inschrift auf seine Funktion als „Musagetes“ hindeuten. In der Malerei setzte auf diese Weise Alessandro Allori 1568 den Helden als Beschützer der Musen ins Bild. Marco Mantova Benavides, der Auftraggeber der kolossalen Herkulesfigur in Padua, spricht dieser in seiner Analysis variarum quaestionum (ebenfalls 1568 publiziert) dieselbe Funktion zu: „Hercules Musagetes dictus quoque est, idest comes duxque musarum“ (fol. 206v). In der Frühen Neuzeit traten neben die Dokumentation der antiken Herkulesfigur also auch mehr oder weniger frei erfundene Visualisierungen.
Eine ähnliche Darstellung des „Herkules Musagetes“ findet sich in Boissards späterem Werk Parnassus biceps von 1627, wobei dort zu Füßen von Herkules nun Panflöte und Trompete liegen und ein Satyr eine Maske hält (Blatt 16). Die Weinranken und das Füllhorn sind Herkules‘ Gaben für die Musen. Der französische Antikensammler greift damit auf eine Darstellung zurück, die schon in der Publikation von 1598 (Taf. B 71) zu finden ist. Boissard spielt also förmlich mit dem Bildmotiv des Herkules.
Darstellungen als „Hercules Placidus“ wie auch als „Herkules Musagetes“ lassen sich in Montfaucons „Bilder-Enzyklopädie“ im Kapitel zu Herkules wiederfinden (Taf. 136 und 137). Auch die fantasievolle Interpretation von Herkules als „Gott des Meeres“, die Johann Georg Keyssler 1720 (Antiqvitates Selectae Septentrionales Et Celticae, Taf. zu S. 200) oder aber auch Romeyn de Hooghe (Servatius Gallaeus: Dissertationes de Sibyllis earumque oraculis: cum figuris aeneis, Amsterdam 1688, Taf. zu S. 649) Ende des 17. Jahrhunderts abgedruckt haben, berücksichtigt Montfaucon in seiner Zusammenstellung aller Antiken-Bilder in diesem Kapitel: Der Tugendheld hat hier „das Haupt mit einer grossen Decke verhüllet […] in der linken Hand eine grosse Gabel, auf der rechten aber einen Delphin“ (Montfaucon: Griechische und Römische Alterthümer, Nürnberg 1757, S. 69 und Taf. 26).
Schon 1705 – und damit noch vor Montfaucon – hatte Lorenz Beger in Hercules Ethnicorum alle bekannten Bildvariationen zur Figur des Herkules zusammengestellt. Erfasst sind hier Abbildungen von Skulpturen, Gemmen und Kameen, aber auch Münzen von und auf den Heros (anders als Montfaucon und Boissard erläutert Beger allerdings die Darstellungen nicht). Neben herkömmlichen Darstellungen wie jenen des Herkules Farnese (Taf. 19) oder seiner Heldentaten, ließ Beger bemerkenswerterweise auch Gemmen und Münzen auf Herkules mit seinen Frauen – Deianira und Omphale (Taf. 21) – abdrucken (die Paduaner Medaillen auf Herkules mit Omphale blieben dabei unberücksichtigt). Frei erfundene Visualisierungen, wie jene des „Herkules Musagetes“ (Taf. 31) und des „Herkules Placidus“ (Abb. 4), die der Antiquar von Boissard übernahm – die Provenienz der Darstellung ist wie bei Montfaucon jeweils in der Beischrift „Ex Boissardo“ angegeben – komplettieren mit am Schluss beigefügten Stichen nach Guido Reni diese „Bilder-Enzyklopädie“ des Tugendhelden par excellence.
ANN-KATHRIN FISCHER, M.A. ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Direktion am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München.