Good bad taste. Marlene Sauer über John Waters und die Grenzen des guten Geschmacks

Zur Retrospektive John Waters: Pope of Trash im Academy Museum of Motion Pictures in Los Angeles

John Waters – der Regisseur, Künstler, Autor und allen voran künstlerischer Pionier und Grenzgänger mit dem markanten Oberlippenbart – gilt als eine Kult-Persönlichkeit des amerikanischen Indie-Films. Er schockierte mit seiner filmischen „Trash Trilogy“ – Pink Flamingos (1972), Female Trouble (1974) und Desperate Living (1977) –, feierte aber auch kommerzielle Erfolge mit Filmen wie Hairspray (1988), der später zum Broadway Musical adaptiert wurde, und Cry Baby (1990).

Waters at Pen America/Free Expression Literature, May 2014.
© Ed Lederman/PEN American Center (PEN American Center, John Waters 2014, CC BY 2.0)

Waters begann seine Karriere mit der Produktion von Indie-Filmen in den 1960er Jahren. Seine Filme setzten sich gezielt über den vermeintlich guten Geschmack und die Standards des amerikanischen Gutbürgertums hinweg und erregten die Gemüter wegen ihres „shock value“, der durch die kompromisslose und radikale Darstellung tabuisierter Themenbereiche erzeugt wurde. Dazu zählten nach damaligem Verständnis auch die Sichtbarkeit von queeren Themen, die in der streng konservativen Gesellschaft der Zeit als höchst kontrovers aufgefasst und diskutiert wurden. Waters ist selbst offen schwul und setzt sich für die Rechte der LGBTIA+ ein.

Screenshot aus dem Original-Kinotrailer von 1972 für den Film Pink Flamingos (New Line Cinema, Pink Flamingos trailer screenshot (2), als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons)

Eng mit seinem Werk ist auch die Drag Queen Divine verknüpft, die als Charakterdarsteller in zahlreichen seiner Filme mitwirkte und erheblich zu deren Kultstatus beitrug. Gleichermaßen thematisierte Waters in seinen Filmen neben der Queerkultur auch Themen wie die einstige Rassentrennung in den USA, wie etwa im Film Hairspray (1988). Seine Filme zählen zu den sogenannten Midnight Movies, Low-Budget-Produktionen, die als Spätvorstellungen gezeigt wurden und später durch ihre Einzigartigkeit als Kultfilme mit hohem, die Zeit überdauerndem popkulturellen Wert gefeiert wurden.

Am 17. September 2023, nur kurz nach der lang ersehnen Enthüllung seines Sterns am Hollywood Walk of Fame, eröffnete im Academy Museum of Motion Pictures in Los Angeles eine Retrospektive über Waters Werk, seine kreativen Schaffensprozesse und Inspirationen seit den 1960er Jahren. Sein gewagt-frivoles, satirisches bis hin zu grotesk-ekelerregendes Schaffen, haarscharf an der Grenze des guten Geschmacks, wird an rund 400 Ausstellungsobjekten vorgestellt. In der Sammlung, die von Waters liebevoll als die „trash can of my memories“ (Chris Nichols, Cult Director John Waters Celebrated at the Academy Museum The filmmaker’s exhibition, ‚John Waters: Pope of Trash,‘ opens this weekend, in: Los Angeles Magazine, 15.09.2023.) bezeichnet wird, befinden sich u. a. handgeschriebene Skripte von Waters, Fotografien, Konzeptzeichnungen, Poster, Requisiten und Kostüme. Darunter findet sich auch eine Replik des Wohnwagens aus Pink Flamingos (1972), in welchem ein Kino-Trailer des Films in Dauerschleife läuft, der keine Ausschnitte des Films, aber dafür die empörten Reaktionen der Kinobesucher zeigt.

Waters ist nicht nur im Bereich des Films als Kunstschaffender tätig, auch in der Installationskunst, Bildhauerei und Fotografie hinterlässt er seine Spuren. Seine persönliche Kunstsammlung möchte er nach seinem Tod dem großen Kunstmuseum seiner Heimatstadt, dem Baltimore Museum of Art, vererben. Die Sammlung, bestehend aus 372 Werken von 125 verschiedenen Künstlern, wurde schon im Jahr 2020 unter dem Namen Coming Attractions. The John Waters Collection ausgestellt. Zur Bedingung machte Waters die Unverkäuflichkeit der Werke aus seiner Sammlung und den völlig ernstgemeinten Wunsch, der Namenspatron beider Toiletten im Museumsgebäude zu werden. Bereits im Jahr 2018 stellte Waters mehr als 160 seiner eigenen Fotografien und Skulpturen im selben Museum aus.

John Waters signiert den Jeansjackenärmel eines Fans am Massachusetts College of Art in Boston, 1990 (Davidphenry, John Waters fan signature, CC BY-SA 4.0)

Noch bis 4. August 2024 wird die Retrospektive des von William S. Burroughs zum ”Pope of Trash” ernannten John Waters im Academy Museum of Motion Pictures zu sehen sein. Über diese Würdigung seines Lebenswerks zeigte sich Waters auf seine Art gerührt: „I’m so respectable I could puke.“ (Andrew Gumbel, ‘I’m so respectable I could puke’: John Waters has his Hollywood moment, in: The Guardian, 16.09.2023.)