Kunsthandelsquellen wie die Karteikarten und Fotomappen der Kunsthandlung Julius Böhler in München und der Kunsthandel AG in Luzern gelten heute als wertvolle Ressourcen für die Erforschung des historischen Kunstmarkts und die Rekonstruktion von (Privat-)Sammlungen. In erster Linie sind sie derzeit aber von essenzieller Bedeutung für Provenienzforschung und die Aufklärung von unrechtmäßigen Entzugskontexten. Doch zwischen den rückseitig auf den Karteikarten notierten Einträgen zu Angeboten und Verkäufen wurden gelegentlich auch Leihgaben an Filmproduktionsgesellschaften gelistet.
Damit bieten sie auch einen sprichwörtlichen Blick hinter die Kulissen der deutschen Filmindustrie. Die Einträge eröffnen neue Perspektiven für die Erarbeitung einer Objektbiografie.
Bei der Sichtung der Böhler’schen Karteikarten zwischen 1919, dem Gründungsjahr der Münchener Lichtspielkunst AG, in Anlehnung an die Initialen MLK auch Emelka genannt, und dem Jahr 1945 zeigt sich, dass die Münchner Kunsthandlung in diesem Zeitraum über 100 Objekte in dieser Art verliehen hatte. Manche Objekte, vorwiegend Gemälde, Möbel und weitere Einrichtungsgegenstände des 17. und 18. Jahrhunderts, waren typisch für das Warenangebot der Kunsthandlung. Diese Möglichkeit nutzte die bereits erwähnte Münchener Lichtkunstspiele AG und die ihr nachfolgende Bavaria Film AG am häufigsten. Aber auch Berliner Filmproduktionsgesellschaften, wenn sie in den Filmstudios in Geiselgasteig drehten, machten vom reichen Warenlager der Kunsthandlung Julius Böhler derart Gebrauch, darunter der Algefa-Film, Atalanta-Film, Euphono-Film und Ondra-Lamac-Film.
Trotz ihrer Kürze – in der Regel ist nur der Name der Produktionsfirma notiert – können Angaben durch einen Abgleich des Zeitraums der Leihgabe mit den Produktionszeiten der notierten Firma über www.filmportal.de tatsächlich Spielfilmen zugeordnet werden. So wurden Objekte für u. a. Marquis d’Eon, der Spion der Pompadour, Frau Sixta (1938) oder Der Feuerteufel (1940) entliehen (Herzlichen Dank an Dr. Caroline Flick für den Hinweis!). Manche Objekte, wie etwa zwei große französische Empire-Kandelaber, eindrucksvoll über zwei Meter hoch, wurden innerhalb weniger Jahre an drei verschiedene Filmproduktionsgesellschaften verliehen: Im Mai 1934 an Ondra-Lamac-Film, im November 1936 an Bavariafilm, im Mai 1938 an die Ostermayrfilmgesellschaft und im September 1938 erneut an Bavariafilm (Abb. 1). Zwischen diesen Ausleihen wurden die beiden Kandelaber zugleich weiterhin einer potenziellen Käuferschaft angeboten und auch zur Ansicht verschickt, wie etwa im November 1934 an Hermann Göring (1893–1946), der die Leuchter jedoch zurücksenden ließ.
Nachweislich wurden nur zwei Filmtitel auf den Karteikarten notiert: Das Stahltier (1934) und Der Katzensteg (1937). Für ersteren „Tonfilm“, den die Reichsbahn zum 100. Jahrestag in Auftrag gab und unter der Regie von Willy Zielke (1902–1989) drehen ließ, stellte die Kunsthandlung eine vergoldete Bronze-Wanduhr (Abb. 2), einen weiß-gold gefassten Stuhl mit weiß-grünem Seidenbezug sowie ein von Pietro Rotari (1707–1762) gemaltes Porträt einer jungen Frau (Abb. 3) Ende November 1934 zur Verfügung. (Vgl. Karteikarten M_27-0098, M_29-0016 und K_038_32).
Die filmische Inszenierung setzte die Uhr und das Porträt wirkungsvoll ein. Der Hauptprotagonist Claaßen, gespielt von Aribert Mog (1904–1941) erzählt seinen Kameraden von den Anfängen der Eisenbahn, die er mit folgenden Worten einleitet: „Anno Eintausendsiebenhundertsiebenzig, als es noch keine Lokomotiven gab, da erbaute der französische Leutnant Cugnot einen Dampfwagen. […]“ Die Bildmontage lässt der Uhr, die zur vollen Stunde schlägt, ein Close-Up der sinnlich blickenden jungen Frau folgen, dann eine weitere Überblendung zum Cembalo spielenden Dampfwagen-Erfinder Nicholas Cugnot (1725–1804), verkörpert durch Max Schreck (1879–1936). Sie inszeniert effektvoll eine Rückblende ins Jahr 1770 (siehe: YouTube, Minute 36:07). Dabei ist diese Montage nur eine der zahlreichen als avantgardistisch bezeichneten Schnitte in Das Stahltier. Sie weicht damit stark von den meist eindimensional ins Bild gesetzten Heimat- und Liebesfilmen der NS-Zeit ab. Doch die künstlerische Inszenierung führte mit anderen Gründen letztlich zum Verbot des Filmes (vgl. Eintrag bei filmportal.de).
In Anbetracht der gewonnenen Erkenntnisse stellt sich die Frage, ob die Kunsthandlung die Leihgabe der potenziellen Kundschaft beim endgültigen Kaufabschluss mitgeteilt hatte. In den Unterlagen des Böhler-Archivs konnten dazu bisher keinerlei Hinweise gefunden werden. Ob die heutigen Besitzer:innen davon wissen, dass ihre Objekte in der NS-Zeit in einem Film in Szene gesetzt wurden und ob dieses Wissen den Kunstgenuss beeinflusst? Darüber kann nur spekuliert werden. Als das Rotari-Porträt im Oktober 2018 durch das Auktionshaus Dorotheum in Wien zur Versteigerung angeboten wurde (vgl. Auktionskatalog Dorotheum, Wien, Alte Meister, 23.10.2018, Lot 84), blieb der filmische Auftritt im Begleittext unerwähnt. Dies lässt vermuten, dass die Leihgabe eher nicht kommuniziert wurde und lässt durchaus zweifeln, ob das als Auszeichnung verstanden wurde.
Die seit 2022 mehrheitlich öffentlich einsehbaren Karteikarten und Daten zu den Transaktionen der Kunsthandlung Julius über Böhler re:search ermöglichen damit, Objektbiografien neu zu definieren und zu erweitern. Bisher galten vor allem Provenienzen und Ausstellungshistorien als Indikatoren für den materiellen und immateriellen Wert eines Objektes. Doch auch der Film, der seit jeher die Menschen in seinen Bann zieht, erscheint für eine Wertbeimessung geeignet. Bewegtbilder haben die Fähigkeit, Kunstwerke nicht nur zu präsentieren, sondern ihnen auch einen ikonischen Status zu verleihen, der über den traditionellen sammlungshistorischen Kontext hinausgeht. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der Blue Boy von Thomas Gainsborough (1727–1788), dessen Auftritt in zahlreichen Filmen wie Inspiration zahlreicher Kostüme seine Bedeutung in der ( Pop-)Kultur unterstreichen (vgl. Poundstone, William, Joker to Django: The „Blue Boy“ Cinematic Universe, Blogeintrag vom 10.09.2020). Vielleicht wird die junge Frau von Rotari in Zukunft eine ähnliche Aufmerksamkeit erhalten?
COSIMA DOLLANSKY, M. A., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und ist für das DFG-Kooperationsprojekts der UB Heidelberg und des ZI „Unikales Quellenmaterial zum deutschen Kunsthandel digital vernetzen“ tätig.