Jörn Wendland zu einem Blatt aus dem Zyklus „Die Pestbeulen Europas. Naziterror in Konzentrationslagern, 1939-45“ von Harald Pickert

Auf einem Tisch mit einem Glasdeckel liegen einige Zeichnungen und ein Bilderrahmen.

Der Kampf des Menschen gegen einen schier übermächtigen Gegner – Harald Pickert hat ihn aufgenommen. Nicht nur als politischer Gefangener, der in verschiedenen nationalsozialistischen Zwangslagern, darunter die Konzentrationslager Dachau und Mauthausen, inhaftiert war. Sondern auch als Künstler, der nach seiner Befreiung um den richtigen Ausdruck kämpfte, Menschen, die nicht in den Lagern gewesen waren, zu informieren und zu bewegen. In den Entwürfen zu seinem geplanten Radierungszyklus „Pestbeulen Europas“ sehen wir ein solches Ringen.

Auf einem Blatt ist ein muskulöser Mensch abgebildet, der sich auf einer schiefen Ebene kraftvoll gegen ein riesiges Hakenkreuz stemmt. Ist der Kampf schon entschieden? Das Symbol des Nationalsozialismus droht die Figur unter sich zu begraben, doch sie hält (noch) stand. Nach Pickert sind es Anstand und Menschlichkeit, die ihm die Kraft verleihen, sich der Diktatur der Barbarei zu widersetzen. So formuliert er unterhalb der Zeichnung: „Der Glaube an unser Recht ist stärker als alle Last der Nazibarbarei, denn Gott und die Kulturwelt ist [sic] für uns.“

Abbildung: Harald Pickert, 19. Blatt aus dem Zyklus „Die Pestbeulen Europas. Naziterror in Konzentrationslagern, 1939-45“, 1945, Courtesy Elke Pickert


Die Darstellung Pickerts erinnert an Sisyphos, der bekannten Figur aus der griechischen Mythologie, die vergeblich denselben Felsblock immer und immer wieder einen steilen Berg hinaufwälzt. Als Metapher für eine schwere Arbeit ohne ein absehbares Ende, als Inbegriff des gefangenen Individuums wird die Sisyphosfigur von der Antike bis in die Gegenwart immer wieder von Künstlern aufgegriffen. Pickert ersetzt den großen Steinblock nun durch ein mächtiges Hakenkreuz, der Mensch verharrt im Kampf gegen eine übermächtige Bedrohung, es scheint kein Vor und kein Zurück zu geben. Trotzdem ist der Kampf nicht sinnlos. Denn es war sein Erfolg, das Ziel fast erreicht zu haben, ohne es jemals ganz erreichen zu können. Nach Albert Camus müssen wir uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen. So schreibt er 1942 in seinem Essay „Der Mythos des Sisyphos“: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen“ (Reinbek6 2004, S. 159f ).

Dr. JÖRN WENDLAND promovierte an der Universität Wien mit einer Arbeit über Häftlingsbildserien aus den NS-Zwangslagern. In Lesungen, Workshops und Ausstellungen bringt er Erwachsenen und Jugendlichen die Zeit des Nationalsozialismus näher. Außerdem ist er als Lehrer an einer Kölner Schule tätig.

Headerabbildung: Ausstellungsansicht „Harald Pickert – Die Pestbeulen Europas. Naziterror in Konzentrationslagern, 1939-45“, Foto @Connolly Weber