Christine Tauber zur Frage, wieso Manet die Weltausstellung von außen malte

PARISER TROUVAILLE NR. 2

Edouard Manet malte das Gelände der Pariser Weltausstellung von 1867 auf dem Marsfeld aus der Feldherrenperspektive (Abb. 1), so, als handle es sich um ein fremdes, zu eroberndes Terrain.

Die Überschau zeigt die ausländischen Ausstellungspavillons rund um den zentralen Palais de l’Exposition als das, was sie unter vielem anderen auch waren: als „folies“ in einem durch Grünzonen nach außen, zum Stadtraum hin abgeschlossenen Landschaftspark (Abb. 2).

So sieht man hier rechts unten den Palais du Bardo, einen (allerdings wenig authentischen) Nachbau des Palastes des Bey in Tunis. Das Material hierfür und die Arbeiter wurden aus Tunesien importiert. Diese temporäre Architektur fand mit ihrer exotischen Innenausstattung so großen Anklang beim Pariser Publikum, dass die Stadt sie nach Ausstellungsende für 150.000 Francs ankaufte und als Gartenstaffage in den Parc de Montsouris im Süden der Stadt transferierte, wo sie bis zu ihrer kompletten Zerstörung durch einen Brand 1991 als Observatorium genutzt wurde (Abb. 3).

Die Erfahrung, auf kleinstem Raum und im bühnenartigen Ambiente immense Distanzen überwinden und ferne Länder besuchen zu können, war nicht nur für den Landschaftspark von Montsouris, sondern auch und in herausragender Weise für die Weltausstellungen prägend. Die dort präsentierten Länderpavillons ermöglichten fußläufig in wenigen Stunden Reisen durch ganze Kontinente, für den historistischen Architekten hielten sie eine Musterkollektion an Stilen bereit – die Weltausstellung wurde zur „Weltreise durch alle Länder der Erde“.

Medienhistorisch interessant ist die Tatsache, dass auf der Pariser Weltausstellung 1867 die Dokumentationshoheit der Photographie vorbehalten war. Das neue Medium setzte sich im Zuge der Technisierung der Lebenswelt gegenüber dem traditionellen der Malerei durch. Ein Berliner in Paris, Hans Wachenhusen, der 1867 seine Weltausstellungsbilder veröffentlichte, betont darin diesen entscheidenden medialen shift:„Das zierliche photographische Atelier in der Nähe des Theaters gehört dem Inhaber des Monopols für das Marsfeld, Herrn Pierre Petit, der für eine enorme Abgabe das Recht erkauft hat, Alles zu photographieren, was das Marsfeld an todten und lebenden Gegenständen in sich schließt. Nur er darf hier photographiren; jeden Unbefugten schleppt er vor die Sergenten und durch diese vor die Gerichte. Nicht einmal ein Maler darf sich erkühnen, irgendeinen Gegenstand hier bildlich zu stehlen, und die Pariser Künstler haben sich deshalb schon zu Anfang unter allerlei Verkleidungen in’s Marsfeld geschlichen, um für ihr Skizzenbuch etwas davon zu tragen.“ Manet war offensichtlich zu spät dran: Ihm blieb nur noch übrig, seine Staffelei außerhalb des Ausstellungsgeländes aufzustellen. Zugleich stilisierte er sich als ein vom Kunstbetrieb Ausgeschlossener, als „refusé“, der 1867 zum offiziellen Ausstellungsprogramm der Weltausstellung nicht zugelassen worden war. Von seinem „privaten“ Ausstellungspavillon auf dem Hochufer der Seine bot sich ohnehin eine wesentlich bessere Perspektive auf das Weltausstellungsgelände – so die selbstbewusste Botschaft seines Bildes.

Der berühmte Photograph Nadar bot stattdessen Flüge im Heißluftballon mit Panoramablick über die Weltausstellung an; das Vehikel seiner Erhebung über die Einlassbeschränkung ist auch auf Manets Bild oben rechts zu sehen. Bei diesen Höhenflügen machte Nadar sozusagen en passant spektakuläre und so noch nie dagewesene Photos vom Weltausstellungsgelände aus der göttlichen Vogelschau auf diese Weltenlandschaft. (Abb. 4)

Das war die Pariser Trouvaille Nr. 2, Fortsetzung folgt…

Prof. Dr. CHRISTINE TAUBER ist die verantwortliche Redakteurin der Kunstchronik am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Professorin am Kunsthistorischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München.