Ursula Ströbele und Steffen Haug zu ephemeren Bildern in Zeiten des Coronavirus

In Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie verlagert sich das öffentliche Leben erzwungenermaßen in die digitale Welt, finden kollektive Ereignisse per Mausklick und geteilter Bildschirme online statt – mit voneinander isolierten, zu Hause an ihren Rechnern sitzenden Individuen. Während im 20. Jahrhundert das gedruckte Zeitungsbild zu den maßgeblichen Formen öffentlichkeitswirksamer Ephemera zählte, werden diese temporären Publikationen, Boulevardblätter und schriftlichen Pressezeugnisse in Bibliotheken, Archiven und Datenbanken inzwischen als historische Dokumente aufbewahrt.

Aktuell haben, insbesondere in Krisenzeiten, Online-Bilder Hochkonjunktur. Sie werden millionenfach auf diversen Social-Media-Plattformen distribuiert, geliked, mit populären Hashtags verbunden und kommentiert. Die durch den Virus verlangte Plötzlichkeit dieser globalen Veränderung führt zu neuen Kategorien von ephemeren Bildern, Themen und Veranstaltungsformen: Karikaturen und Kinderzeichnungen des (unsichtbaren) Virus, Fotografien leerer Städte oder vereinsamter Plätze öffentlichen Lebens, online gestellte Protestschilder digitaler Formen des Streiks und politische Selbstportraits von Fridays For Future (Abb.1) oder Extinction Rebellion, die auf Instagram, Twitter und Facebook geteilt werden, wodurch sie eine breite Sichtbarkeit erzielen.

Doch stellen sich angesichts der reinen Digitalität der Bilder umso dringlicher Fragen über die algorithmisch bestimmte und vorhandene technologische Zugänglichkeit sowie nach Optionen, diesem ephemeren Charakter durch Speicherung entgegenzuwirken, deren Historizität zu dokumentieren. Selbst Verhaltenscodices für den öffentlichen Raum werden über ephemere Bilder in Form von Plakaten zu sanitären Maßnahmen und Solidaritätsbekundungen, Alltagsvorschriften für Supermärkte und den öffentlichen Nahverkehr kommuniziert.
Museen beginnen längst, die materiellen Objekte und Dokumente zu sammeln (vgl. „Museums Scramble to Document the Pandemic, Even as It Unfolds“, in: New York Times, 31. März 2020; >>). Das finnische Nationalmuseum begann bereits Mitte März mit Interviews und Fotodokumentationen. Inzwischen fordern etliche Institutionen weltweit, darunter das Münchner Stadtmuseum, zur Einsendung von Fotografien und Gedanken auf (>>), und das Londoner Victoria & Albert Museum sammelt als „rapid response collecting” zeitgenössische Objekte der Coronakrise (>>; >>). Die digitale Lebenswelt ist jedoch so kurzlebig, dass erweiterte Recherchemodi, Speicheroptionen und Präsentationsformen gefragt sind.

Im Fall der „Fake News“ / Desinformationen werden Nachrichten und Bilder von den großen Social Media-Konzernen teils selbst wieder gelöscht, um ihre Verbreitung zu verhindern – wie die Bilder der in Venedigs Kanälen gesichteten Delphine als Zeichen einer Rückeroberung der anthropogen beherrschten Natur durch die Tierwelt (>>; vgl. auch Alan Weisman, Die Welt ohne uns, 2007) (Abb.2). In diesem Fall wurden Aufnahmen aus Cagliari, Sardinien, gekürzt eingesetzt, wie sich durch eine Identifikation von Standbildern ergab (vgl. >>).
Bildverifizierungen avancieren dank spezieller Bearbeitungsprogramme zur Herausforderung in der Berichterstattung. Doch verschwinden diese zeitgenössischen Ephemera noch rascher, obgleich sie kurzfristig weltweit „viral gehen“.

Dr. URSULA STRÖBELE ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Leiterin des Studienzentrums zur Kunst der Moderne und Gegenwart.

Dr. STEFFEN HAUG ist Research Associate im Forschungsverbund „Bilderfahrzeuge. Aby Warburg’s Legacy and the Future of Iconology“ am Warburg Institute London.