Der große Michelangelo sollte die Kunstdruckanstalt Braun & Co. im Elsass retten. Und zwar in Gestalt eines kolorierten Handkupferdrucks mit der Szene der Erschaffung Adams von der Sixtinischen Decke – angesichts der imposanten Maße von 135 x 65 cm eine drucktechnisch-handwerkliche Meisterleistung (Abb. 1). Wie kam es dazu?

1868/69 hatte Adolphe Braun Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle überhaupt zum ersten Mal systematisch abfotografiert – die Herausforderungen darf man sich ähnlich wie bei der Fotokampagne von Domenico Anderson 1904 vorstellen (Abb. 2). Brauns Atelier, 1850 in Dornach bei Mühlhausen eröffnet, stieg in den 1860er-Jahren durch die Reproduktion von Kunstwerken – und gefördert unter anderem durch König Ludwig II. von Bayern – zu einer der führenden Foto- und Kunstdruck-Adressen in Europa auf. Die fotografische Dokumentation von Michelangelos und Raffaels Fresken im Vatikan markierte dabei einen frühen Höhepunkt in Brauns glänzender Karriere. In der Folge wurden zahlreiche wichtige Sammlungen durchfotografiert.

Zur Sixtinischen Kapelle hatte Braun 125 bzw. 126 Fotografien im Angebot, erstmals in einem Katalog von 1876 aufgelistet. 1887 kostete eine komplette Ausgabe der großen Abzüge im Format 50 x 40 cm stolze 1512 francs (bei aller Problematik solcher Umrechnungen in etwa der halbe Jahreslohn eines Fabrikarbeiters), eine mit kleineren Abzügen im Format 30 x 24 cm immerhin noch 485 francs (Abb. 3). Das Unternehmen verwendete – wie andere Ateliers, etwa Anderson in Rom oder die Fratelli Alinari in Florenz, auch – nicht nur eine offizielle Nummerierung für seine Negative. Größe spielte eine zunehmende Rolle: Wer Platz hatte, konnte etwa 1896 die gesamte Decke in fünf Teilen mit einer Gesamtlänge von 232 cm erwerben. Von der Erschaffung Adams, die Braun auch in mehreren Detailaufnahmen festhielt, ließen sich die beiden Protagonisten, Gottvater und der liegende Stammvater (zunächst Nr. 27, dann Nr. 43.406) einzeln erwerben. Auch die Bildfelder zur Genesis gab es nun neben einem Standardformat in noch größeren Abzügen von 80 x 65 cm. Die Kataloge von 1907/1908 bieten dann nichts weniger als eine gut 20.000 Motive umfassende Fotosammlung zur Kunstgeschichte von den Ägyptern bis ins 19. Jahrhundert, getrennt nach Malerei einerseits, Architektur und Skulptur andererseits, und natürlich weiterhin mit den Fotos der Sixtinischer Kapelle. Aber erst der letzte bekannte Katalog der Nachfolger des „Kunstverlags Ad. Braun & Cie.“ von 1913 listet drei Kohledrucke im Format „Ganz-gross“ zu je 120 Mark auf: Tizians Himmlische und Irdische Liebe, den Sündenfall von Michelangelos Sixtinischer Decke und eben die Erschaffung Adams (Nr. 43406bis) (Abb. 4).


Allerdings hatte sich der Kontext in den Jahrzehnten seit der Braun’schen Fotokampagne dort grundlegend geändert. Das Kapital der kompletten fotografischen Dokumentation, auf das die Firma Braun auch nach dem Tod von Adolphe 1877 setzte, verlor zunehmend durch die neuen technischen Aufnahme- und Druckverfahren der Konkurrenten an Wert. So wollte etwa bereits im Jahr 1900 Carl Frey „nicht nach den ein falsches Bild gewährenden, theuren Braunschen, sondern nach gewöhnlichen Photographien, wie sie in Rom zu haben sind (bei Anderson)”, arbeiten. Neben den Fotoanstalten in Italien (vor allem Brogi, Alinari, Anderson) übernahmen insbesondere die Münchner Firmen Hanfstaengl und dann Bruckmann mit der Zeit die Führungsrolle bei anspruchsvollen Reproduktionen.
Die Firma Braun versuchte daher, etwa mit kolorierten Handkupferdrucken zu den Verfahren von Hanfstaengl und Bruckmann aufzuschließen – handkolorierte Kohledrucke seiner Sixtina-Fotografien hatte etwa auch schon Anderson schon seit um 1900 im Angebot (Abb. 5). Bekannt ist bislang ein farbiger Handkupferdruck von Michelangelos Prophet Jonas, den Braun 1926 anbot und mit dem eine private Käuferschaft anzulocken versucht wurde, die an anspruchsvollem Raumschmuck interessiert war. Die hier vorgestellte monumentale Reproduktion der Erschaffung Adams dürfte die ambitionierteste Anstrengung in dieser Konkurrenz gewesen sein. Leider lässt sich nicht sagen, ab wann genau der kolorierte Druck verkauft wurde und ob er möglicherweise auf Sonderbestellung bereits 1913 verfügbar war. Angesichts des deutschsprachigen Etiketts auf der Rückseite des hier vorgestellten Exemplars und der Ortsangabe „Mühlhausen“ (Dornach war 1914 eingemeindet worden) (Abb. 6) dürfte diese offenbar gerahmt ausgelieferte Reproduktion zwischen 1914 und 1918/19, als das Elsass wieder französisch wurde, verkauft worden sein – während des Ersten Weltkriegs. Da der Preis des Kohledrucks 1913 schon mit 120 Mark, umgerechnet ca. 780 EUR, zu Buche schlägt, wird die farbige Variante mit Rahmen nochmals deutlich teurer gewesen sein.


Die Nummerierung unserer Reproduktion suggeriert, dass sie auf Grundlage einer Vorlage (Negativ Nr. 43.406) gefertigt wurde, von der die gemalte Architektur und die umgebenden Ignudi weggeschnitten waren (Abb.7).

Tatsächlich erzielte man das enorme Format so, dass zwei Abzüge zusammengeklebt wurden. Möglicherweise benutzte man dafür eher die Detailansichten von Adam und Gottvater. Die Platten mussten jedenfalls von Hand mit verschiedenen Farben präpariert werden, so dass in nur einem Druckdurchgang das Endergebnis entstand. Dies stellte große Herausforderungen an handwerkliches und technisches Können. Jeder Abzug war ein Unikat (Abb. 8) . Möglicherweise sollte das beim vorliegenden Exemplar benutzte raue Papier den Eindruck des originalen Freskos besonders gut zum Ausdruck bringen? Allerdings ließ sich Gewinn viel besser mit der Quantität günstiger Fotografien und mit Bilderbuch-Publikationen für ein großes Publikum denn mit diesen aufwendigen Spitzenprodukten für einige wenige finanzkräftige Kunstliebhaber erzielen. Der Verlag Braun & Cie. publizierte daher offenbar ab 1935 auch eine wohlfeile Reihe „Meister der Kunst”/ „Collection des Maitres”, darunter einen Band zu Michelangelo (Abb. 9).


Dass im Sortiment von Braun & Co. die Erschaffung Adams eine so prominente Stellung einnimmt, ist dabei keineswegs selbstverständlich. An dieser Szene zeigt sich die unterschiedliche Wahrnehmung Michelangelos über die Jahrhunderte hinweg besonders deutlich. Bevor Braun mit seinen Fotos von der Erschaffung Adams und den Details offenbar auf ein neues Publikumsbedürfnis reagierte, war die Szene eher selten reproduziert worden. Angesichts der Krise von Menschenbild, Werten und Bildung in den Jahrzehnten um 1900 scheint gerade der Adam neues Interesse gewonnen zu haben. Leo Steinberg hat schon 1992 vermutet, dass der steile Aufstieg der sich berührenden Finger von Gottvater und erstem Menschen zu einer Ikone des heutigen Bildgedächtnisses sogar erst 1951 mit einer Farbabbildung dieses Details in einem populären Bildband zur Renaissance-Malerei des Skira-Verlages begann (Abb. 10).

Unser schon zuvor entstandener Handkupferdruck erinnert so nicht nur daran, wie das Medium Fotografie den Blick auf Michelangelos Fresken neu justierte. Die übergroße, handkolorierte Abbildung entstand vor allem auch aus einer technischen Konkurrenzsituation der Reproduktionsanstalten, bei der Michelangelo als der größte aller Künstler noch einmal die Leistungsfähigkeit der Firma Braun & Co. unter Beweis stellen sollte.
Tipp!
Der hier besprochene Handkupferdruck ist noch bis 14. März 2025 in der Ausstellung „Michelangelo 550! Bilder des ‚Göttlichen‘ in der Druckgraphik“ im Zentralinstitut für Kunstgeschichte München zu sehen.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR:
- Helmut Hess: Täuschend ähnlich. Die photographische Kunstreproduktion in Farbe gegen Ende des 19. Jahrhunderts, in: Dirk Blübaum und Stephan Brakensiek (Hgg.): Gestochen scharf. Die Kunst zu reproduzieren, Heidelberg 2007, S. 144–157.
- Philippe Jarjat: Les fresques de Michel-ange à l’épreuve de la photographie: production et diffusion de nouveaux clichés (1839 – 1944), Paris 2008.
- Philippe Jarjat: Michelangelo’s Frescoes through the Camera’s Lens: The Photographic Album and Visual Identity, in: Stephen Bann (Hg.): Art and the Early Photographic Album (Studies in the History of Art, 77), New Haven/London 2011, S. 151–172.
- Alida Moltedo (Hg.): La Sistina riprodotta. Gli affreschi di Michelangelo dalle stampe del Cinquecento alle campagne fotografiche Anderson, Rom 1991.
- Dorothea Peters: „Photographie als Lehr- und Genussmittel”. Zur frühen Kunstreproduktion durch Fotografien. Wilhelm von Bode und die Photographische Kunstanstalt Adolphe Braun in Dornach, in: Fotogeschichte 20/75 (2000), S. 3–32.
- Ulrich Pohlmann und Paul Mellenthin (Hgg.): Adolphe Braun. Ein europäischer Photographie-Unternehmer und die Bildkünste im 19. Jahrhundert, München 2018.
- Leo Steinberg: Who’s who in Michelangelo’s „Creation of Adam“. A chronology of the picture’s reluctant self-revelation, in: Art Bulletin 74 (1992), S. 552–566.
Prof. Dr. ULRICH PFISTERER ist Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte und Lehrstuhlinhaber an der Ludwig-Maximilians-Universität München.