„…aus dem Aluminium ihrer Todesflügel hätte man die Kochtöpfe herstellen können…“ Ursula Ströbele über Juliane Roh zwischen Kunstgeschichte und politisch-feministischem Engagement

Freigestelltes Porträt einer Frau vor zitronengelbem Hintergrund (Juliane Roh).
Teil 1

Seit 2015 bzw. 2016 vergibt das Zentralinstitut für Kunstgeschichte jährlich zwei Juliane und Franz Roh-Stipendien am Studienzentrum zur Kunst der Moderne und Gegenwart für Promovierende und Postdoktorand*innen. Seinen Namen verdankt das Stipendium dem Ehepaar Roh, die beide in München lebten. Franz Roh (1890 Apolda–1965 München) war als Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Künstler tätig, promovierte 1920 bei Heinrich Wölfflin und publizierte zu unterschiedlichen Themen vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. 1946 heiratete er Juliane Bartsch (1909 Duisburg–1987 München), die in Heidelberg Kunstgeschichte, Philosophie und Archäologie bei August Grisebach, Karl Jaspers und Arnold von Salis studierte und dort 1934 promoviert wurde (Figur und Landschaft: eine Untersuchung ihrer Beziehungsformen im italienischen Kunstbereich des 16. und 17. Jahrhunderts). Die beiden ersten und kommenden Blogtexte möchten einen Einblick in ihre kunsthistorische Tätigkeit geben (Abb. 1), zur Frau als Bildender Künstlerin und explizit zu den Bildhauerinnen des 20. Jahrhunderts sowie hier vorliegend in ihr schriftstellerisch-politisches Engagement. Ein besonderer Dank gilt Richard Hampe, der den Nachlass verwaltet und bei der Sichtung der Archivunterlagen große Unterstützung leistete. Die meisten Datierungen der hier genannten Texte und deren etwaige Publikationsorgane sind bislang unbekannt; weitere Recherchen erfolgen in diesem work in progress.

Frau spricht in Standmikorfon
Abb. 1: Juliane Roh, Ansprache zur Eröffnung einer Ausstellung in der Neuen Galerie im Künstlerhaus am Lenbachplatz © Nachlass Juliane Roh

Nach einem kurzen Aufenthalt in der Berliner Galerie Carlo Nierendorf leitete Juliane Roh von 1935 bis 1937 den Mannheimer Kunstverein und zeigte dort u.a. Ausstellungen mit Karl Hofer, August Macke und Paul Rohlfs sowie 1936 eine Schau mit dem Titel Deutsche Frauenkunst der Gegenwart (siehe u.a. Bettina Mendelssohns Dissertationsprojekt Making Women’s Art, Making New Societies. Germany 1945-1978).

1937 kündigte sie nach dem Besuch der Arbeitstagung der deutschen Kunstvereine in München angesichts der sich zuspitzenden politischen Lage, wie sie rückblickend 1983 in einem Gespräch erklärt: „Mit Schrecken haben wir dann die ‘Entartete‘ gesehen und den ‘Kunsttempel‘ des Führers – da wußten wir, jetzt müssen wir Schluß machen, jetzt läuft nichts mehr.“ (Erinnerungen an den Mannheimer Kunstverein, Auszüge aus einem Gespräch mit Frau Dr. Juliane Roh am 16.4.1983 in München). Nach ihrem Umzug nach München arbeitete sie als Kulturfilmregisseurin für die Bavaria Filmkunst, später zwangsverpflichtet in einer Munitionsfabrik bei Höhenkirchen. Zeitlebens war sie als Kunstkritikerin tätig und publizierte drei kleine Bände in der von Heinrich Kreisel herausgegebenen Reihe Wohnkunst und Hausrat / Einst und Jetzt (Franz Schneekluth Verlag, Darmstadt), namentlich Heutige Möbel (1954), Die moderne Wohnung (1954) und Deutsche Bildteppiche der Gegenwart (1955), sowie Deutsche Bildhauer der Gegenwart (1957), ein Band zu Votivbildern aus bayerischen Wallfahrtsorten (1957), Abstrakte Bilder der Natur. Die Kunst und das Naturschöne (1960) und zwei Bände der Reihe Deutsche Kunst seit 1960 im Bruckmann Verlag zu Deutsche Kunst der 60er Jahre. Malerei, Collage, Op-Art, Graphik (1971) und zu Druckgraphik (1974). Sie schrieb für Münchner Zeitungen und Zeitschriften, wie Die Kunst und das schöne Heim: Monatsschrift für Malerei, Plastik, Graphik, Architektur und Wohnkultur (1949-1988 Thiemig-Verlag), Das Kunstwerk (1946-1991) und Quadrum. Internationale Zeitschrift für Moderne Kunst (1956-66).

Neben ihrem kunsthistorischen Fokus war Juliane Roh politisch aktiv. In Heidelberg gehörte sie der Sozialistischen Studentenvereinigung an. Von 1961 bis 1973 war sie Mitglied der Humanistischen Union, seit 1964 dort im neu gegründeten Beirat. Sie engagierte sich für die Frauen- und Friedensbewegung, für die gesellschaftliche Gleichberechtigung und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Zu diesen Themenfeldern schrieb sie einige programmatisch formulierte Aufsätze und Vorträge, wie Der Krieg und die Frauen, Überparteilicher Frauenausschuss oder soziale Frauenpartei? (1946?), Die Frau der Zukunft (1957?), Gegen eine Männlich-Weibliche Idealtypologie, Vorläufiger Entwurf für ein Frauenprogramm innerhalb der Gewerkschaft und Der Machtkampf der Frau.

Lest am Freitag weiter zu Juliane Roh und die Zwangsrekrutierung der Frau während des Krieges, biologischer und sozialpsychologischer Typologisierung und das Recht auf Abtreibung.

PD Dr. URSULA STRÖBELE ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Leiterin des Studienzentrums zur Kunst der Moderne und Gegenwart.