„…aus dem Aluminium ihrer Todesflügel hätte man die Kochtöpfe herstellen können…“ Ursula Ströbele über Juliane Roh zwischen Kunstgeschichte und politisch-feministischem Engagement

Freigestelltes Porträt einer Frau vor zitronengelbem Hintergrund (Juliane Roh).
Teil 2

Juliane Roh (Abb. 3) prangert in ihren Texten wiederholt die Zwangsrekrutierung der Frauen während des Krieges an, die „zum Arbeitssklaven männlich militärischer Interessen“ erniedrigt wurden bei gleichzeitiger Instrumentalisierung im Zuge der nationalsozialistischen Fortpflanzungspolitik. „Alles, was ihr der Gleichberechtigungskampf mühsam erworben hatte […], hat ihr der Staat wieder genommen.“ (Der Krieg und die Frauen, 2) Aus Selbstschutz habe sich die Frau auf ihre Rolle der Ehefrau und Mutter zurückgezogen bzw. habe versucht, männliche Eigenschaften zu adaptieren. Weshalb sie fordert: „Es kommt heute also darauf an, dass wir die weibliche Emanzipation vollenden, indem wir sie an ihren Ursprung zurückführen. […] das bedeutet zu den Müttern. Wir müssen heute den einzigen Typ der Frau, der noch nicht emanzipiert ist, zu befreien trachten, den mütterlichen.“ (Die Frau der Zukunft, 13).

Der historischen Entwicklung sei es geschuldet, dass eine sozialistisch ausgerichtete Gesellschaft den Frauen zu mehr Selbstbestimmung, zur freien Berufswahl und staatlichen Kinderversorgung, insgesamt zu einer Verbesserung der rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Stellung verhelfen müsse. Von der deutschen Nachkriegsgesellschaft fordert sie „Sonderrechte der Frau“: „Ich meine, um es gleich vorweg zu nehmen, dass dem Mütterlichen in der Frau eine weit grössere Macht und gesellschaftlich politische Einflussnahme zugeleitet werden müsste, damit sich die gehenden, pflegende, mütterlichen Instinkte nicht nur im Familiären Kleinleben verzetteln.“ (Der Machtkampf der Frau, 1). Lösungsansätze sieht sie in der Gründung einer Frauenpartei, die zwar die weiblichen Interessen vertritt, ohne dass ihr nur Frauen angehören (ebd., 3f.), in Aufklärungsarbeit und Frauengremien innerhalb der Gewerkschaften, in gesteigerter Toleranz und Solidarität. Ihre Herkunft als Kunsthistorikerin kommt insbesondere in den Passagen zum Ausdruck, in denen sie historische Exkurse in die Geschichte der Emanzipation vornimmt, deren Anfänge sie in der französischen Revolution verortet, etwa bei Mary Wollstonecrafts A vindication of the rights of women (1792). Durch die eigenen Kriegserlebnisse geprägt und zu einer Zeit der erneuten Bedrohung durch den Kalten Krieg unterstreicht sie ihren Wunsch, alle Frauenbewegungen im Kampf um den Frieden zu vereinen, wobei der deutschen Frau „eine Kassandrarolle“ zukomme (12). Polemisch-überspitzt kritisiert sie die Materialverschwendung bei der Zerstörung der militärischen Maschinerien nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ohne entsprechende Wiederverwertung einzelner Teile – heute würde man im Kontext ökologisch-ressourcensparender Politik von „Upcycling“ sprechen: „[…] aus dem Aluminium ihrer Todesflügel hätte man die Kochtöpfe herstellen können, die uns Frauen hier und andernwärts so bitter fehlen.“ (16f.)

Abb. 3: Juliane Roh, 1954 | Foto: Hans Schürer, München | Nachlass Juliane Roh

Angesichts der konservativen Gender- und Rollenzuschreibungen im wirtschaftlich aufstrebenden Nachkriegsdeutschland positioniert sie sich in ihrem Vortrag Gegen eine „Männlich-Weibliche Idealtypologie“, gegen „die so beliebte polare Zuordnung männl. u. weibl.“, die vom Soziologischen und Biologischen her nicht haltbar sei, „in sofern nämlich jeder Mensch sozusagen ein rudimentärer Zwitter ist, d.h. männliche und weibliche Wesenszüge in einem Mischungsverhältnis auftreten, das im Idealfall für unsere Begriffe 50 zu 50 ist“ (2). Kritik äußert sie an Philipp Lerschs Schrift Vom Wesen der Geschlechter (1947), seiner „männerrechtlich orientierten bisherigen Geschichtsphase“ und den damit verbundenen Ideologien biologischer und sozialpsychologischer Typologisierung. Männliche und weibliche Eigenschaften, so Roh, seien hingegen abhängig von den realen Machtverhältnissen der Geschlechter, ob Patriarchat oder Matriarchat. Charaktermerkmale und Verhaltensweisen seien demnach genderübergreifend und abhängig von den jeweiligen Machtstrukturen.

Abb. 4: Juliane Roh, Die Argumentation gegen die Abschaffung von § 218, Nachlass Juliane Roh

Die Argumentation gegen die Abschaffung von § 218 (Abb. 4) ist ein fiktiver Dialog zwischen „Ich“, d.h. der Autorin, und „Er“, der für die Beibehaltung des umstrittenen Paragraphs plädiert und sich grundsätzlich gegen Abtreibung ausspricht. Im Kontext dieser gesellschaftspolitischen Debatte Anfang der 1970er-Jahre, die bis in die heutigen Tage keineswegs an Aktualität eingebüßt hat, sollte diese Textform die „gängigsten Argumente“ für und gegen das Recht auf Abtreibung zusammenfassen. Seit 1871 stellte der Paragraf 218 des Strafgesetzbuches Abtreibungen unter Strafe. Die sozialliberale Koalition initiierte 1972 eine Generaldebatte, die 1974 zu einer Änderung des Paragraphen führte und einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten straffrei ermöglichte, wenn er von einem Arzt nach vorheriger Beratung vorgenommen wurde – bis eine einstweilige Verfügung Baden-Württembergs beim Bundesverfassungsgericht das Inkrafttreten verhinderte. Es dauerte bis zur Wiedervereinigung, mit der das in der DDR bereits geltende Recht in überarbeiteter Form in das Grundgesetz übernommen wurde.

Start des Gesprächs zwischen Juliane Roh und dem namenlosen männlichen Gegenüber sind die damaligen Erweiterungsüberlegungen im Hinblick auf die „soziale und ethische Indikation“ (1). Während „Er“ die bekannten Argumente, wie das 5. Gebot, den medizinischen Eid, die Warnung vor „Euthanasie“ und einen „sittlichen Verfall“ sowie die Gefahr der Bevölkerungsabnahme, das drohende Rentenproblem und letztendlich psychologisch-biologischen Nebenwirkungen anführt, plädiert Roh für eine Einschränkung des Paragraphen durch Berücksichtigung sozialer und ethischer Indikationen, insbesondere für die Anpassung von Gesetzen an sich ändernde soziopolitische Verhältnisse: „Wenn aber die Frau erst selbst entscheiden kann, ob sie ein Kind gebären will oder nicht (vielleicht kann sie sogar bald entscheiden, ob sie ein Kind empfangen will oder nicht), hat sie die wahre Würde als Frau und Mutter erst gewonnen […].“ (4) Eine handschriftlich beigefügte Anmerkung mit Ausrufezeichen lässt verlauten, dass eine 100%ige Verhütung auf hormonaler Grundlage, d.h. die Anti-Baby Pille, in Sichtweite stehe. Roh konstatiert fehlende aussagekräftige Statistiken und den Vorteil wohlhabender Frauen gegenüber finanziell benachteiligten, die die deutsche Gesetzgebung im Ausland nicht umgehen können, während hierzulande heimliche Eingriffe deutlich gefährlicher seien. Eine professionell durchgeführte Abtreibung stelle also trotz allem oftmals „das kleinere Übel“ dar. Sie endet ihr Gespräch mit einer visionären Vermutung, die bis heute nicht eingetreten ist: „Eines Tages wird der § 218 ein altmodisches Residuum unseres Gesetzbuches sein, das nicht mehr zu unserer Lebensform passt, weil es keine Männer mehr gibt, die der Frau das Recht über ihren Körper streitig machen.“ (5)

PD Dr. URSULA STRÖBELE ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Leiterin des Studienzentrums zur Kunst der Moderne und Gegenwart.

Die Bibliographie erfasst für den Zeitraum bis um 1930 systematisch Texte von Frauen, die über Kunst und Kunstgeschichte schreiben. Ziel ist es, die Schriften dieser Autorinnen nach und nach digital zugänglich zu machen. Sie sollen so im kunsthistorischen Kanon sichtbarer und leichter verfügbar werden. Zugleich werden deren Breite und Vernetzung, aber auch Hürden und Grenzen erkennbar.

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