…wie La Monte Youngs Trio for Strings (1958) entstanden ist und aufgeführt wurde

Freigestelltes schwarz-weißes Porträt eines Mannes vor zitronengelbem Hintergrund. Auf dem Porträt steht "La Monte Young. TRIO FOR STRINGS".
„It is as though time were telescoped.“ Krista Profanter über La Monte Youngs Trio for Strings (1958)

Komponiert hat Young das Trio for Strings im Sommer 1958 an der UCLA im Alter von 22 Jahren, wo er die lang gehaltenen Harmonien auf der großen Orgel der Royce Hall ausarbeitete. Die Originalpartitur, datiert auf den 5. September 1958, hat er mit Bleistift auf Zwiebelschalen notiert. Einige Monate später wurde das Werk in Youngs erstem Semester an der UC Berkeley im Rahmen eines Kompositionsseminars bei Seymour Shifrin aufgeführt. Dieser war jedoch wenig begeistert und hielt ihm vor, wie ein Achtzigjähriger zu komponieren (vgl. Jeremy Grimshaw: Draw a Straight Line and Follow it. The Music and Mysticism of La Monte Young, New York 2011). 1960 kam das Stück beim San Francisco Dancer’s Workshop der Choreografin Anna Halprin (1920–2021) zur Aufführung, wie einem von der Antwerpener Avantgardegalerie Wide White Space Gallery um 1970 zusammengestellten Dossier zu entnehmen ist, welches 2014 als Teil einer von der DFG geförderten Akquisition im Rahmen des Projekts Studienzentrum zur Moderne – Bibliothek Herzog Franz von Bayern ans ZI kam (ZI, Bibliothek, Signatur: D2-You 406/45 R; >>). Die öffentliche Uraufführung fand schließlich am 12. Oktober 1962 in der Judson Hall in New York statt – ein Flyer dieses Konzerts findet sich ebenfalls in der Bibliothek des ZI (Abb. 4). Im Publikum saß unter anderem Andy Warhol (1928–1987), dessen statische Filme, in denen er ebenfalls mit dem Zeitgefüge experimentierte, unmittelbar von der Aufführung inspiriert sein sollen.

Abb. 4: Der von Marian Zazeela entworfene Flyer der Uraufführung des Trio for Strings in der New Yorker Judson Hall 1962 kündigte auch eine Veröffentlichung der Partitur im Künstlerbuch Fluxus 1 an. (Flyer mit handschriftlicher Widmung an Anny De Decker und Bernd Lohaus. Enthalten in: [Dossier zu La Monte Young und Marian Zazeela], [Wide White Space Gallery, Antwerpen], um 1970. ZI, Bibliothek, Signatur: D2-You 406/45 R)

Die ursprüngliche Konzeption des Trio for Strings, dessen Aufbau dem klassischen Schema der Sonatenhauptsatzform folgt und aus Exposition, Durchführung, Reprise und Coda besteht – Termini, die Young auch in seinen Skizzen und Notizen zum Werk verwendete –, sah eine ins Extreme gesteigerte Spieldauer von mehreren Stunden vor. Der Praktikabilität wegen hat Young das Stück unter Beibehaltung der ursprünglichen strukturellen Proportionen auf eine Stunde verkürzt, indem er die Achtelnote als metrische Grundeinheit festlegte und einen 8/8-Takt wählte.

Der Partitur vorangestellt sind zwei Seiten mit Instruktionen, sowohl für die Besetzung mit Streichtrio als auch für Streichorchester mit Violine, Viola und Violoncello. Darin wird vorgegeben, dass das Stück ohne Vibrato zu spielen sei, die Dynamik eine absolute sei – sie reicht von Mezzoforte bis zum sechsfachen Pianissimo, wobei sie sich größtenteils im Bereich zwischen ppp und mp bewegt –, der Bogen so langsam wie möglich gestrichen werden solle und das Stück eine Scordatura, eine abweichende Stimmung der Saiten, verlange.

Das Stück, das die serielle und statische Kompositionsweise vereint, basiert auf unilinear sich über große Zeitspannen entfaltenden Tonreihen mit Betonung von Sekunden, Septimen und reinen Quarten und Quinten. Prominent vertreten ist ein Akkord (G-C-C♯-D), der in Youngs Kompositionen häufig verwendet und als „Dream chord“ bezeichnet wird. Der geringen rhythmischen Artikulation stehen zahlreiche Tempiwechsel – 27 an der Zahl – gegenüber, die sich teilweise auch nur auf Pausen beziehen, dementsprechend scheinbar unhörbar sind. Eine zentrale Rolle im Aufbau des Trios spielt die Symmetrie, sowohl in der Makrostruktur als auch in der Anordnung von Dauer sowie relativen Ein- und Austrittspunkten, welche die einzigen zeitbezogenen Parameter sind. Stellenweise sind die Töne nahezu symmetrisch angeordnet, so dass sie jeweils ein zeitliches Palindrom um eine zentrale, allerdings unartikulierte Zeitachse bilden – jene Töne, die zuerst einsetzen, sind auch diejenigen, die zuletzt enden, etc. Da sich unsere bewusste Zeiterfahrung jedoch unidirektional vorwärtsbewegt, liegt eine solche Symmetrie wahrnehmungsmäßig außerhalb der Zeit.

Jahrzehntelang gab es weder Aufnahmen des selten gespielten Trio for Strings – erst 2021 erschien eine autorisierte Aufnahme einer überarbeiteten Version in reiner Stimmung – noch kommerziell veröffentlichtes Notenmaterial, es kursierten lediglich Raubkopien. Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner offiziellen Nichtverfügbarkeit regte das Werk in den 1960er und 1970er Jahren den Diskurs über experimentelle Praktiken bezüglich der Idee von Reduktion und der Erweiterung von Zeit und Raum an. Youngs bahnbrechende Komposition gilt daher als „landmark in the history of 20th century music and the virtual fountainhead of American musical minimalism.“ (K. Robert Schwarz: Minimalists, London 1996).

die letzte Notenzeile einer Partitur. Mit kleiner handschriftlicher Datumsangabe "Sept. 5, 1958".Tinte auf braunem Papier.
Abb. 5: Letzte Seite von Trio for Strings, 1958 (ZI, Bibliothek, Signatur: D2-You 406/35 R)

KRISTA PROFANTER, M.A. ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte.