Kunsthandelsquellen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte ermöglichen Restitutionen an die Nachfahren des Antiquars Jacques Rosenthal

Freigestellte hölzerne Apostelfigur (spätmittelaterlich) vor zitronengelbem Hintergrund.
Franziska Eschenbach

Für die Provenienzforschung ist schon lange klar: Auktionskataloge bieten wichtige Hinweise, um die Herkunft eines Objekts zu klären. Neben präzisen Angaben zum Werk finden sich nicht selten auch Abbildungen oder Informationen zur Provenienz. Annotierte Auktionskataloge können sogar durch die Angaben von Zuschlagpreisen, den Namen des Einlieferers und Verkäufers den gesamten Verkaufsprozess offenlegen und so manches Rätsel um die Provenienz des Werks lösen.

Die Auktionskataloge des 1936 gegründeten Münchener Kunstversteigerungshauses von Adolf Weinmüller (1886–1958) geben zwar den vollen Namen des Einlieferers nicht preis, aber zumindest die Initialen des Nachnamens und des Wohnsitzes. Zwischen 1936 und 1938 zirkulierten mehr als 60 Objekte aus dem Besitz des Sammlers „R. in M.“ im Münchner Kunsthandel. Allein auf der ersten Auktion von Weinmüller am 26. und 27. Juni 1936 wurden 34 Objekte des bislang unbekannten Sammlers zur Auktion angeboten.

Im Zuge des vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts konnte nun aufgedeckt werden, dass sich hinter dem Kürzel „R. in M.“ der Münchner Antiquar Jacques Rosenthal (1854–1937) verbirgt. Ausschlaggebend war der umfangreiche Bestand an Kunsthandelsquellen im ZI: Anhand der Materialien aus dem Archiv der Kunsthandlung Julius Böhler und der Auktionsprotokolle des Kunstversteigerungshauses von Adolf Weinmüller konnte der en-bloc-Verkauf der Sammlung von Jacques Rosenthal und seiner Frau Emma, geb. Guggenheimer (1857–1941), rekonstruiert werden.

Abb. 1: Blick in die private Wohnung von Jacques und Emma Rosenthal im dritten Stock ihres Hauses in der Brienner Straße in München | Quelle: Stadtarchiv München, FS-V-038-07-02

Versteigert wurden nicht nur wertvolle Gemälde und Skulpturen, sondern auch Mobiliar (Abb. 1). Der Verkauf des Hausrats ab Januar 1936 ereignete sich, als die Familie aufgrund der antisemitischen Verfolgung bereits keine berufliche und private Zukunft mehr in München sah: Im Sommer 1935 hatten die Rosenthals das imposante Wohnhaus in der Briennerstraße, das über 20 Jahre lang zugleich als Geschäftssitz des Antiquariats diente, an die Deutsche Arbeitsfront verkauft. Die direkte Nachbarschaft der einstigen Kunst- und Antiquariatsmeile hatte sich inzwischen zum Parteizentrum der NSDAP gewandelt: Nur wenige Schritte vom Antiquariat entfernt war im Oktober 1933 im Wittelsbacher Palais die Gestapo-Zentrale eingerichtet worden. Zeitgleich hatten am Königsplatz die Bauarbeiten für den „Führerbau“ und den Verwaltungsbau der NSDAP begonnen. Insgesamt kaufte die Partei seit 1933 mehr als 50 Grundstücke im Umkreis des Karolinenplatzes (Nerdinger, Winfried: Ort und Erinnerung. Nationalsozialismus in München, Salzburg 2006, S. 70).

Zeitgleich mit den Umzugsarbeiten erhielt der Sohn und Juniorchef Dr. Erwin Rosenthal (1889–1981) von der Reichskammer der Bildenden Künste den Bescheid, dass ihm die erforderliche Mitgliedschaft in der Kammer verwehrt werde und er das Geschäft innerhalb von vier Wochen schließen müsse. Noch vor Jahresende, am 28. Dezember 1935, verkaufte er das Geschäft an den Mitarbeiter Hans Koch (1897–1978) und meldete im März 1936 den deutschen Behörden seine Auswanderung nach Florenz. Mit der Emigration wurde er zur Zahlung der Reichsfluchtsteuer in Höhe von knapp 28.000 RM verpflichtet.

Einen Großteil der Objekte hatte Erwin Rosenthal im Auftrag seines Vaters bereits im Januar 1936 bei dem Kunsthändler Julius Böhler in Kommission gegeben. Böhler verzeichnete 25 Objekte in seinem Karteisystem als Kommissionsware und übernahm noch weitaus mehr Objekte in sein Depot. Nur kurze Zeit später empfahl er der Familie Rosenthal allerdings, den Verkauf über Weinmüller abwickeln zu lassen. Dafür sprach vermutlich auch, dass Böhler zwischen 1936 und 1938 als stiller Teilhaber am Münchner Kunstversteigerungshaus beteiligt war.

Erwin Rosenthal zeigte sich anfangs entrüstet: Als wir die Dinge bei Ihnen einstellten, war nicht der Wunsch sie unterbringen und verwerten zu können massgebend, sondern der, dass sie eben gerade durch Sie, durch eine so alt befreundete Firma verwertet würden. Ich sehe es keineswegs so gerne, dass sich ein anderes, mir ganz ferne stehendes Haus damit abgibt. (Bayerisches Wirtschaftsarchiv, F 43/83, Schreiben von Erwin Rosenthal vom 23.3.1936).

Doch die Versteigerung der Sammlung ließ sich nicht abwenden. Nachdem auf der ersten Auktion im Juni 1936 nur 13 der 34 Objekte verkauft werden konnten, lassen sich auch in den nachfolgenden Auktionen im September und November 1936 sowie im Dezember 1937 Stücke aus der Sammlung Rosenthal nachweisen.

Im Dezember 1938 wurde ein weiterer Schub an Objekten aus der Sammlung Rosenthal zum Verkauf angeboten. Die finanzielle Situation von Emma Rosenthal hatte sich inzwischen deutlich verschlechtert: Nach dem Tod ihres Mannes am 5. Oktober 1937 lebte sie allein mit einer Pflegerin im Palasthotel Regina und hatte große Schwierigkeiten, die laufenden Rechnungen zu bezahlen. Im Sommer 1938 berichtete sie ihrem Sohn Erwin Rosenthal besorgt über den wachsenden Druck, sich von ihrem verbliebenen Besitz zu trennen: „Du hast recht lieber Erwin, Ich muss sehen meine ganze Habe zu verkaufen und zu verschenken.“ (Stadtarchiv München, NL-ROS-228, Schreiben von Emma Rosenthal vom 16. 7.1938)

18 von 21 Objekten wurden im Dezember 1938 erstmals zur Auktion eingeliefert – so auch eine Apostelfigur aus Lindenholz, die früher die Geschäftsräume des Antiquariats zierte und seit Januar 1936 im Depot der Kunsthandlung Julius Böhler lagerte. Das Münchner Stadtmuseum zeigte Interesse an dem Stück und kaufte es für 460 RM zzgl. Aufgeld an (Abb. 2 & Abb.3).

Foto: Apostelfigur aus Lindenholz, Spätmittelalter
Abb. 2: Apostelfigur, wohl Umkreis / Werkstatt des Meisters der Blutenburger Apostel, um 1480/1500 | Foto: Münchner Stadtmuseum
Foto (s/w): Innenraum mit sakralen Kunstwerken ausgestattet.
Abb. 3: Einer der Geschäftsräume des Antiquariats Jacques Rosenthal in der Brienner Straße 47. Über dem Türbogen ist die Apostelfigur zu erkennen, die nun vom Münchner Stadtmuseum restituiert wurde | Quelle: Stadtarchiv München, FS-V-038-07-05

Unter den Käufern findet sich auch Julius Böhler selbst: Er sicherte sich auf der gleichen Auktion zwei barocke Beistelltische, die er bereits im Januar 1936 von Rosenthals in Kommission genommen hatte. Die Tische gehörten zuvor zur Ausstattung der privaten Wohnräume von Jacques und Emma Rosenthal im 3. Stock der Brienner Straße.

Böhler zahlte für die Tische 264 RM und verkaufte sie im Juni 1939 für 840 RM an das Kunstgewerbemuseum Köln (heute Museum für Angewandte Kunst) weiter. Während er im Zuge eines Kommissionsverkaufs den Rosenthals den vereinbarten Anteil von 400 RM hätte auszahlen müssen, betrug der Erlös für die Rosenthals auf der Auktion nur noch knapp die Hälfte. Durch den Ankauf auf der Auktion konnte Böhler die eigene Gewinnmarge erhöhen.

Im Dezember 1939 gelang Emma Rosenthal die Flucht in die Schweiz. Sie erreichte das Sanatorium in Küsnacht (Kanton Zürich) fast mittellos: Für die „Judenvermögensabgabe“ hatte sie mehr als 45.000 RM aufbringen müssen, für die „Reichsfluchtsteuer“ knapp 27.000 RM. Ihre Wertgegenstände hatte sie bereits im März 1939 bei der sogenannten Silberzwangsabgabe im städtischen Leihamt München abgeben müssen.

Das Münchner Stadtmuseum und das Museum für Angewandte Kunst in Köln werteten die Ankäufe als NS-verfolgungsbedingten Entzug und restituierten nun die Apostelfigur und die Tische an die Nachfahren von Jacques und Emma Rosenthal, die von den Kolleginnen des Holocaust Claims Processing Office unterstützt wurden.

FRANZISKA ESCHENBACH, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt Rekonstruktion der privaten Kunstsammlung von Jacques, Emma und Erwin Rosenthal am ZI in München.

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