Wolfgang Augustyn über ein Exlibris

Ein kleines beschriebenes Feld, das von einem schmalen Schriftband bekrönt wird.

Wer die Bestände der Bibliothek im Zentralinstitut für Kunstgeschichte konsultiert, wird immer wieder durch Besitzvermerke daran erinnert, dass viele alte Bücher eine bewegte Geschichte hinter sich haben. An die Vorbesitzer erinnern Namenseinträge oder Stempel, häufig ein Exlibris. Schlägt man nun die 1630 in Padua erschienene, später wohl in England neu gebundene und dabei rundum beschnittene Ausgabe der „Iconologia“ des Cesare Ripa (um 1555–1622) auf (Abb. 1), fällt auf der Innenseite des Deckels ein Stahlstich ins Auge: das Exlibris eines Vorbesitzers (Abb. 2), der wohl eine umfangreiche Bibliothek besaß, denn sein Besitzvermerk ist an vielen Orten nachweisbar.

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Den geteilten Schild – in dem offenbar die Wappen zweier Familien vereinigt sind –, schmückt eine Helmzier mit einander zugewandten, im Profil aufgesetzten Helmen, der eine mit einem wachsenden Hirsch, der andere mit einem wachsenden Löwen als Zimier. Dem Helmwulst entspringen große Akanthusranken, die das Wappen rahmen. Unter dem von mehreren englischen Familien geführten Motto Pro Deo et rege liest man den kursiv gesetzten Namen des Bibliophilen und seinen Wohnort: James Martin Carr-Lloyd │ of Lancing Manor in the ve[stern] County of Sussex Esq.

James Martin Carr-Lloyd (1849–1919) gehörte zu einer Familie der englischen Gentry, aus der bekannte Geistliche der anglikanischen Kirche wie sein Großvater, Robert James Carr (1774–1841), Bischof von Chichester und Worcester (Charles Mosley (Hg.) Burke’s Peerage, Baronetage & Knightage, 107th edition, Wilmington 2003, Bd. 1, S. 91.), stammten, und war verschwägert mit vielen Familien des englischen Landadels. Sein Vater, George Kirwan Carr (1810–1877), seit 1855 Carr-Lloyd, hatte nach der Schulzeit in Eton als Offizier in Kanada und Malta gedient, war zuletzt Oberstleutnant der Artillerie im Grafschafts-Regiment von Sussex und arbeitete dann als Teilhaber einer Bank. 1858 vererbte ihm seine Tante Elizabeth, die Witwe des langjährigen Parlamentsabgeordneten Sir James Martin Lloyd (1762–1844), Haus und Grundbesitz der Familie Lloyd in Lancing (Adur District), West Sussex. (Mosley (Anm.1)) James Martin Carr-Lloyd folgte seinem Vater als Grundherr nach. Er hatte von 1869 bis 1871 am Merton College in Oxford studiert und als Lieutenant im Royal Sussex Regiment gedient. Seit 1881 lebte er mit seiner Frau in Lancing Manor. (Mosley (Anm. 1), Bd. 2, S. 2167). Zu diesem Zeitpunkt richtete er offenbar auch seine Bibliothek ein und ließ sich von dem bekannten, auf Exlibris spezialisierten Künstler Charles William Sherborn (1831–1912) (Charles Davies Sherborn, A sketch of the life and work of Charles William Sherborn, painter-etcher, London 1912), der auch für das englische Königshaus arbeitete, entsprechende Zettel auf Büttenpapier drucken (signiert CW.S), um seine Bücher damit auszustatten. Nach Carr-Lloyds Tod verkauften seine Witwe und seine Töchter 1920 das aus dem 18. Jahrhundert stammende, um 1800 erneuerte Herrenhaus (Abb. 3) (T. P. Hudson (Hg.), A History of the County of Sussex, Bd. 6, Teil 1, London 1980, S. 34-53.), die Bibliothek kam in den Antiquariatshandel.

Als Lancing Manor 1972 für ein Freizeit- und Sportzentrum abgerissen wurde, war die Ripa-Ausgabe längst in anderem Besitz und 1968 für das Zentralinstitut für Kunstgeschichte erworben worden.

Prof. Dr. WOLFGANG AUGUSTYN ist stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte und apl. Prof. an der Ludwig-Maximilians-Universität München.