Donald Judd, einer der Hauptbegründer der in den USA der 1960er Jahre entstandenen Minimal Art, legte Wert darauf, seine Kunst von den Möbeln, die er ebenfalls entwarf, getrennt zu wissen. Der Künstler wollte, dass letztere als veritable Funktions- und Gebrauchsgegenstände und nicht als Künstlermöbel betrachtet werden. Dennoch werden nicht nur seine Möbel als Kunstwerke gelesen, sondern umgekehrt seine raumgreifenden Kunstwerke genauso gerne mit Möbeln verglichen oder sogar verwechselt. So soll es in der Staatsgalerie Stuttgart vorgekommen sein, dass Besucher*innen auf ein in der Nähe des Eingangs installiertes Werk ihre Garderobe ablegten.
Diese Anekdote deutet etwas an, das Hal Foster als die „Crux des Minimalismus“ beschreibt: Die Minimal Art habe in ihrer absoluten Bedeutungs- und Repräsentationsverweigerung die formalistische Autonomie der Kunst der Moderne einerseits ultimativ erreicht, andererseits aber zugleich aufgebrochen. Denn mit der rein physischen und nicht mehr transzendentalen Präsenz eines Werks, die ausschließlich das Objekthafte im Hier und Jetzt der Betrachtenden betont, gehe der Verlust des zentralen modernistischen Leitgedankens, der Medienspezifik, einher. So beschränken sich die minimalistischen Werke nicht auf spezifische Gestaltungsmöglichkeiten einer einzigen Kunst – beispielsweise der Malerei oder Skulptur –, was laut der modernistischen Kunstkritik zu einem Streben zum Alltäglichen und Kunstfremden führe. Letztendlich bereitete die Minimal Art mit ihrer Tendenz zur Intermedialität jedoch den Weg für die postmoderne Kritik an den Institutionen, den Ausstellungskonventionen und dem Warencharakter, kurzum an den Rahmenbedingungen der Kunst, durch die Kunst selbst.
In dieser Tradition steht eine Reihe von neueren künstlerischen Positionen, die formal die reduzierten geometrischen, sich wiederholenden und aus industriell vorgefertigten Materialien bestehenden Primary Structures der Minimal Art aufgreifen. Dies erreichen die Künstler*innen, indem sie massenproduzierte, aus unserem Alltag bekannte Ikea-Möbel in die Ausstellungsräume verfrachten und somit Readymade-Komponenten noch expliziter einsetzen als der historische Minimalismus. Die im Folgenden vorgestellten Arbeiten begnügen sich also nicht damit, schlicht die minimalistischen Ideen zu wiederholen, sondern besitzen einen humorvollen bis (selbst)ironischen, kunsthistorischen Twist.
Heimo Zobernig begann sich ab 1989 mit einer der Möbel-Ikonen von Ikea zu beschäftigen – dem Billy-Regal. Ganz in der phänomenologischen Tradition Maurice Merleau-Pontys, in der die Minimal Art ihre Philosophie fand und nach der Objekt und Subjekt nicht scharf voneinander zu trennen sind, sieht Zobernig seine Regale als ein „Gegenüber“. Damit formuliert er die Bezogenheit der Möbel auf den Menschen und dessen Körper, die sich in maßstäblichen Entsprechungen manifestiert. Besonders deutlich, ja vorgeführt wird diese Verbundenheit zwischen Menschen und den sie umgebenden Dingen – die Erfahrung des „In-der-Welt-seins“ – wenn Zobernig Puppen mit den Regalen verschmelzen lässt. Andere Regalskulpturen erschaffen wiederum durch an der Innenseite angebrachte Spiegel Mensch-Möbel-Raum-Hybride. Diese demonstrieren plakativ die phänomenologische Paarung des Leibes mit den Dingen.
Auch Flora Neuwirths Skulptur aus fünf leeren, gelb lackierten Billy-Regalen unterzieht die männlich dominierte, historische Minimal Art einer kritischen und ironischen Revision. Dadurch, dass sie offensiv und unverhohlen an der Grenze zwischen Kunst und Alltag rührt, lässt sich die Arbeit gleichsam als Kommentar auf die modernistische Kunstkritik und den von ihr vorgebrachten Vorwurf, der Minimalismus entgrenze die Kunst, lesen.
Unterschiedlichste Ikea-Möbel – als Verkörperung der Konvergenz modernistischer Prinzipien und des globalen Spätkapitalismus – bilden die Grundlage für einen großen Teil des Werks des Kollektivs Giroux & Young. Eine der so entstandenen Skulpturen integriert etwa den sowieso schon kubischen Lack-Beistelltisch in einen noch größeren Kubus und heißt Mao – mehr Entautonomisierung durch einen Titel geht kaum.
Mitnichten erschöpfen sich die angesprochenen Werke – es ließen sich weitere Beispiele von Andreas Feldinger, Christian Philipp Müller oder Santo Tolone nennen – in der formalen Wiederaufnahme des Minimalismus. Vielmehr geht es hier um die Darstellung und Historisierung der Programmatik der Minimal Art, ihrer Rolle für einen radikalen Wandel der Kunst, ihrer Widersprüche bis hin zu der an ihr geübten Kritik. Dabei scheinen die Arbeiten sogar den kunsthistorischen Übergang von der Wahrnehmungskritik zur Institutionskritik vorzuführen und operieren selbst auf der Metaebene des Diskurses über Kunst.
NELLY JANOTKA, M.A. ist Stipendiatin des Landes Baden-Württemberg am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und promoviert über „Kunstreproduktionen von Ikea. Bild-Strategien eines multinationalen Unternehmens und ihr Einfluss auf eine globale visuelle Kultur“ (AT)