Julia Viehweg über Wilhelm Waiblinger und das illustrierte Taschenbuch

Ein Ausschnitt aus einem schwarz-weißen Kupferstich. Viele verschiedene Menschen tummeln sich im Inneren eines Hauses. Es gibt Musikanten, einen Tänzer und eine Tänzerin. Sie werden von anderen beobachtet, unteranderem von einer stillenden Mutter. Im Hintergrund scheint ein anderer Mann zu kochen.

„[…] Nun wollen wir uns aber recht breit mit beiden Ellenbogen auf den Schreibtisch legen, und mit wahrem Behagen, mit wahrer Herzenslust das allerliebste einzige Bildchen beschreiben. Das ist unserem Lindau über die Maßen glücklich gelungen, und er befand sich hier in seinem eigentlichen Element. […] Hier ist er unter Bauern, in einer Osterie, bei Mandolin- und Tamburinschall

(Wilhelm Waiblinger, „Erklärung der Kupfer“, in: Werke und Briefe, Bd. 3, Verserzählungen und vermischte Prosa, hrsg. von Hans Königer, Stuttgart 1986, S. 417)

Abb. 1: Thorvaldsen beim Saltarello in einer römischen Schenke, Kupfer nach einer Zeichnung von Dietrich Wilhelm Lindau, in: Taschenbuch aus Italien und Griechenland auf das Jahr 1829, hrsg. von Wilhelm Waiblinger. Erstes Buch: Rom. Mit acht Kupfern. Berlin 1829, Tafel IV

Mit diesen Worten leitet der Dichter Wilhelm Waiblinger (1804 – 1830) die Beschreibung des Bildes Thorvaldsen beim Saltarello in einer römischen Schenke (Abb. 1) ein, dessen Vorlage von Dietrich Wilhelm Lindau stammt. Zusammen mit sieben weiteren Stichen gehört es zu dem von ihm herausgegebenen „Taschenbuch aus Italien und Griechenland auf das Jahr 1829“ (>>); ein zweiter Band folgte 1830 (>>). Waiblinger war 1826 aus Tübingen nach Rom gekommen, nachdem er dort das Theologiestudium aufgrund einer skandalösen Liebesbeziehung beenden musste, um in Italien als freier Schriftsteller zu leben. Äußerte er sich zunächst noch abwertend über die im 19. Jahrhundert in Mode kommenden illustrierten Taschenbücher – kleine, handliche Almanache, die durch ihre Kombination aus aktuellen Texten und dazugehörigem Bildmaterial bestachen und der Weiterbildung dienen sollten –, so entschloss er sich wohl auch aufgrund seiner finanziell angespannten Lage, selbst ein solches herauszugeben. Die Texte schrieb er selbst, während er für die Bilder Künstler wie den bereits genannten Dietrich Wilhelm Lindau sowie namhafte Stecher wie Johann Friedrich Bolt gewinnen konnte. Einem Freund erklärte er, es dürfe niemand an dem Taschenbuch beteiligt sein, „[…] der nicht in Italien ist, und ein Romantiker gar nicht“ (Wilhelm Waiblinger, „Brief an Friedrich Eser in Hürbel“, in: Werke und Briefe, Bd. 5.1: Sämtliche Briefe, hrsg. von Hans Königer, Stuttgart 1985, S. 418). Die Illustrationen zeigen erstens Kopien nach neueren Kunstwerken, die dem deutschen Leser noch nicht bekannt gewesen sein dürften, wie Pietro Teneranis 1825 entstandene Skulptur Venus und Amor (Abb. 2).

Abb. 2: Venus und Amor, Skulptur des Pietro Tenerani, Kupfer von Johann Friedrich Bolt nach einer Zeichnung von Gustav Friedrich Baumgarten, in: Taschenbuch aus Italien und Griechenland auf das Jahr 1829, hrsg. von Wilhelm Waiblinger. Erstes Buch: Rom. Mit acht Kupfern. Berlin 1829, Tafel VIII

Zweitens sind es Illustrationen zu Erzählungen aus dem Buch und drittens Abbildungen, die Szenen aus dem Leben in Italien wiedergeben sollen, wie das Bild von Thorvaldsen, der sich ebenfalls zu dieser Zeit in Rom befand. In dem Kapitel „Erklärung der Kupfer“ werden sie vom Autor beschrieben und gedeutet. Erbaulich und unterhaltend sollen die Bilder sein, ästhetisch ansprechend und aufschlussreich über das Wesen Italiens und der Italiener. Ein schwieriges Unterfangen – und so bleiben sie oft genrehaft, gleichen die Menschen auf den Bildern eher pittoresken Puppen, verkleidet als Bäuerinnen, Straßenmusiker und Festgäste. Auch die „[…] Serie von Mädchenbildnissen „[…] kann sich nicht recht entscheiden, ob sie anthropologisches Dokument oder klassizistisches Pin-up sein will“ (Abb. 3) (Stefan Andressohn, Wilhelm Waiblinger und die bildende Kunst, Frankfurt am Main 2007, S. 249). Wie der Titel schon sagt, sollte die Reihe schließlich durch einen Band aus Griechenland ergänzt werden. Dazu kam es nicht mehr, denn Waiblinger verstarb mit nur 26 Jahren am 17. Januar 1830 in Rom, wo er auch begraben ist. Übrigens: Waiblingers Taschenbücher befinden sich auch unter den Rara-Beständen des ZI.

Abb. 3: Genzanesisches Mädchen, Kupfer nach einem Gemälde von August Grahl, in: Taschenbuch aus Italien und Griechenland auf das Jahr 1829, herausgegeben von Wilhelm Waiblinger. Erstes Buch: Rom. Mit acht Kupfern. Berlin 1829, Tafel I.

JULIA VIEHWEG, M.A. ist Mitarbeiterin der Bibliothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte.

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