Marta Koscielniak über das Vorher-nach?her des Rubens-Gemäldes „Helene Fourment mit ihrem erstgeborenen Sohn Frans“ aus der Alten Pinakothek im Bildarchiv Bruckmann

Dargestellt werden zwei Frauen mit Kind vor einer Säule. Beide Frauen und Kinder sehen sehr ähnlich aus, die Frauen tragen einen großen Hut und ein teures Gewand und die Kinder sind bis auf ihre Hüte nackt.

Die Reproduktionsfotografien des Bruckmann Bildarchivs halten historische Zustände von Kunstwerken fest, die teilweise auffallend von dem abweichen, wie wir diese Werke heute kennen. Ein besonders spektakuläres Beispiel zeigt sich in Rubens’ Bildnis seiner zweiten Ehefrau Helene Fourment mit dem gemeinsamen Sohn Frans aus der Alten Pinakothek in München.

Dieses Gemälde gehört seit jeher zu den Highlights der Münchner Sammlung. Ende des 19. Jahrhunderts erreichte seine Popularität dank einer regen Vervielfältigungspraxis wohl einen Höhepunkt. Es diente als Vorbild für zahlreiche Kopien. Franz von Lenbachs Talent als Kopist Alter Meister soll von seinem späteren Auftraggeber Adolf Friedrich Graf von Schack vor diesem Werk entdeckt worden sein (Max Doerner: Ein wiedererstandener Rubens in der Münchener Pinakothek? In: Technische Mitteilungen für Malerei, 1923, H. 10/11/12, S. 99). Der Wiener Kunstsammler und Mäzen Karl Graf Lanckoroński ließ sich eine Fassung des Malers Sigmund Landsinger davon anfertigen (Joanna Winiewicz-Wolska: Karol Lanckoroński i jego marchand amateur, in: Studia Waweliana, Bd. 14, Krakau 2009, S. 183-210, hier S. 198).

Neben gemalten Kopien und Druckgrafik zirkulierten ab den ersten vor den Originalen der Alten Pinakothek durchgeführten Fotokampagnen (1865 Piloty & Loehle mit dem Fotografen Joseph Albert, 1876-1882 Hanfstaengl; Helmut Heß: Der Kunstverlag Franz Hanfstaengl und die frühe fotografische Kunstreproduktion. Das Kunstwerk und sein Abbild, München 1999, S. 129, 258) auch direkte fotografische Reproduktionen dieses Gemäldes. Der Bruckmann Verlag druckte das Doppelbildnis 1889 im ersten Jahrgang seines beliebten Lieferungswerks Klassischer Bilderschatz ab und perpetuierte damit seine Wahrnehmung als Meisterwerk bei einem breiten gebildeten Publikum. Die Fotovorlage stammte 1889 höchstwahrscheinlich von der Firma Franz Hanfstaengl (vgl. Katalog der Gemälde-Sammlung der Kgl. Älteren Pinakothek in München, München 1888, Kat. Nr. 797). Nachdem der Bruckmann Verlag in den Sommern 1895/96 eine erste eigene Fotokampagne in der Alten Pinakothek durchgeführt hatte, zeichnete er das Werk erneut aus, indem er es 1897 in seinem Prachtband Die Königliche Ältere Pinakothek zu München. Eine Auswahl von 75 Meisterwerken in Pigmentdrucken abbildete. Im einleitenden Text zur Sammlungsgeschichte hebt der Autor Friedrich Haack „das lebensgrosse Bildnis der Helene Fourment mit dem nackten Söhnchen auf dem Schoss“ neben einer Landschaft unter den zwölf Rubenswerken aus Max Emanuels Gemäldeankauf von Gisbert van Colen hervor (ebd. S. II). Die Popularität des Motivs wird auch daran deutlich, dass Bruckmann im Programm seiner Pigmentdrucke ab 1898 zusätzlich zum vollständig abgebildeten Bildnis ein Blatt mit einem Gemäldeausschnitt führte (Abb. 1).

Peter Paul Rubens, Helene Fourment mit ihrem erstgeborenen Sohn Frans, um 1635 (vor der Restaurierung 1922), Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 315 (Detail), Pigmentdruck, 1898, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, Bildarchiv Bruckmann, München A. P./Nr. 797(Detail) (Foto: M. Koscielniak)
Abb.1: Peter Paul Rubens, Helene Fourment mit ihrem erstgeborenen Sohn Frans, um 1635 (vor der Restaurierung 1922), Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 315 (Detail), Pigmentdruck, 1898, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, Bildarchiv Bruckmann, München A. P./Nr. 797 (Detail) (Foto: M. Koscielniak)

Was für ein Bild hatte die Welt damals vor Augen, wenn sie Rubens’ Helene Fourment mit Sohn Frans aus der Alten Pinakothek bewunderte? Alle Reproduktionen, auch die ältere der beiden Aufnahmen im Bildarchiv Bruckmann (Abb. 2), dokumentieren einen Zustand vor der Abnahme der großflächigen Übermalungen im Jahr 1922. Bis dahin scheint das Gesicht der jungen Frau auf dem Gemälde an das Münchner Bild „Helene Fourment im Brautkleid“ angenähert, ein Stück weit zur Frontalität hin aufgerundet. Frans’ Gesicht ist verfeinert und seine hellen Haare kringeln sich im Nacken zu langen Locken.

Peter Paul Rubens, Helene Fourment mit ihrem erstgeborenen Sohn Frans, um 1635 (vor der Restaurierung 1922), Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 315, Pigmentdruck, nach 1895/96, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, Bildarchiv Bruckmann, München A. P./Nr. 797 (Foto: M. Koscielniak)
Abb. 2: Peter Paul Rubens, Helene Fourment mit ihrem erstgeborenen Sohn Frans, um 1635 (vor der Restaurierung 1922), Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 315, Pigmentdruck, nach 1895/96, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, Bildarchiv Bruckmann, München A. P./Nr. 797 (Foto: M. Koscielniak)

Hält man die spätere Reproduktion von 1922 daneben (Abb. 3), fällt zunächst der um Teile der Bildfläche links und oben reduzierte Bildausschnitt auf. Die Porträtierte wirkt wie abgeschminkt. Die Ohrringe, die Fourment offenbar in einer aufgesetzten Malschicht trug, wurden wieder abgenommen, Frans’ Locken zurückgekürzt. Sein rechter Arm, der in dem vorhergehenden Zustand von seinem Körper verdeckt war, ragt nun angewinkelt hinter dem Rücken hervor.

Peter Paul Rubens, Helene Fourment mit ihrem erstgeborenen Sohn Frans, um 1635, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 315, Fotografie, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, Bildarchiv Bruckmann, Rubens I/Nr. 228; rückseitig mit Bleistift beschriftet: „[…] 1922 nach beseitigter Übermalung!“ (Foto: M. Koscielniak)
Abb. 3: Peter Paul Rubens, Helene Fourment mit ihrem erstgeborenen Sohn Frans, um 1635, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 315, Fotografie, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, Bildarchiv Bruckmann, Rubens I/Nr. 228; rückseitig mit Bleistift beschriftet: „[…] 1922 nach beseitigter Übermalung!“ (Foto: M. Koscielniak)

Die entfernten Übermalungen stammten wohl aus dem 18. Jahrhundert. Ursprünglich ein Dreiviertelporträt, war das Werk von Rubens selbst bereits zur Ganzfigur erweitert worden. Spätere Anstückungen waren gefolgt. Die Restaurierung löste eine von Max Doerner angestoßene Debatte über den Umgang mit „schwierigen Fällen“ aus, in der dieser den radikalen Eingriff kritisierte und seinen Standpunkt hin zu Konservierung statt Restaurierung bekräftigte (Alexander Wießmann: Der Restaurator. Ein Berufsbild im Wandel, Würzburg 2007, S. 109).

Ist das Vorher-nachher der beiden Aufnahmen dieses Rubenswerks angesichts der auf dem späteren Foto sichtbaren aufgedeckten älteren Malschichten eventuell stattdessen als ein Vorher-vorvorher zu betrachten? So einfach ist es nicht. Denn in welchem Maß der 1922 zum Vorschein gebrachte Zustand dem entsprach, in dem Rubens sein Bild hinterlassen hatte, ist keineswegs gewiss. „Mit letzter Sicherheit ist nicht zu klären, inwieweit bei der Restaurierung im Jahr 1922 Übermalungen des 18. Jahrhunderts und originale Rubensmalschichten entfernt wurden“, konstatierten Konrad Renger und Claudia Denk (Konrad Renger / Claudia Denk: Flämische Malerei des Barock in der Alten Pinakothek, München/Köln 2002, S. 268). Eine umfassende Aufarbeitung der überlieferten Dokumentation dieses Falls durch das Doerner Institut steht noch aus. Max Doerner nannte das Gemälde nach Abnahme der Übermalungen mehrmals das „neue Bild“ (Doerner 1923, S. 99-100) – eine scheinbar passende Bezeichnung angesichts des Rätsels, ob es je zuvor genau so ausgesehen hat wie seit 1922.
In den Schachteln des Bruckmann Bildarchivs liegen auf Fotografien festgehaltene Zeitschichten, die sich sonst in den Verlagsveröffentlichungen verschiedener Erscheinungsjahre abbilden, oft dicht beieinander.

Ich danke Jan Schmidt vom Doerner Institut für ein anregendes Gespräch, seine wertvollen Literaturhinweise und Einblicke in die restauratorische Sicht auf dieses Thema.

Dr. MARTA KOSCIELNIAK ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt Bildarchiv Bruckmann. Bestandsbezogene Entwicklung eines Forschungskonzepts am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München.