Ann-Kathrin Fischer über die schreibenden Töchter der Familie Patin

Freigestelltes Porträt einer Frau in ovalem Rahmen vor zitronengelbem Hintergrund (Gabriella Carla Patina).

Mit aufmerksam-interessiertem Blick wendet sich die achtzehnjährige Carla Caterina (1666–1744) ihrem Vater Charles Patin (1633–1693) im Gespräch zu. Daneben sitzt ihre Mutter Madeleine (1642–1722), selbst Schriftstellerin, die in der linken Hand ein Medaillonbildnis ihres Schwiegervaters Guy Patin hält. Rechts davon ist die ältere, neunzehnjährige Schwester Gabriella Carla (1665–1751) platziert. Noël Jouvenet (1650–1698) hat dieses Familienbildnis 1684 gemalt. Heute verschollen, ist das Gemälde durch einen Stich des Joseph Juster (um 1690 in Venedig tätig) überliefert (Abb. 1), der 1691 in dem aufwendig illustrierten Folioband Tabellae selectae ac explicatae bzw. Pitture scelte e dichiarate von Carla Caterina Patina publiziert wurde. Die Druckgrafik stellt zugleich das einzig dokumentierte Porträt der Autorin dar.

Abb. 1 : Joseph Juster, nach Noël Jouvenet (1684), Bildnis der Familie Patin, in: Carla Caterina Patina: Tabellae selectae ac explicatae, Padua 1691, Taf. XL, Privatbesitz

Der in den 1670er Jahren aus Frankreich nach Padua geflohene Arzt und Numismatiker Charles Patin dürfte mit dieser Familiendarstellung stolz seine beiden frühbegabten Töchter gefeiert haben. Carla Caterina, die eine Armillarsphäre in der rechten Hand hält, wurde ein Jahr vor Entstehung des Gemäldes, 1683, in die Paduaner Accademia dei Ricovrati aufgenommen. Das Sphärenmodell dürfte in diesem Kontext nicht nur motivisch auf das Interesse des Vaters für die Astronomie rekurrieren. Gleichermaßen sollte es auf die Ambitionen des Gelehrten in Bezug auf die Bedeutsamkeit der Ausbildung seiner Töchter verweisen, dem er in seiner Rolle als liebender Vater vermutlich einen höheren Stellenwert beigemessen hat.

Die bereits im Alter von zehn Jahren in die Accademia galileiana di scienze, lettere ed arti eingetretene Gabriella Carla hatte sich mit einer numismatischen Abhandlung De Phœnice in numismate imperatoris Antonini Caracallæ expressa der Gelehrtenwelt präsentiert und sich angeschickt, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Die Vermutung liegt nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen diesem 1683 in Venedig publizierten Brieftraktat und dem im Folgejahr angefertigten Gemälde Jouvenets gibt. Gabriella hat als einziges Familienmitglied den Blick auf die Betrachtenden gerichtet und scheint mit diesen aktiv zu kommunizieren, indem sie ein geöffnetes Buch vorzeigt. Allerdings bleibt offen, ob es sich dabei um ihre eigene, bereits vorliegende Publikation handelt oder generell auf ihr gelehrtes Schreiben verwiesen werden soll. Im Kontext der Veröffentlichung ihres Erstlings-Schriftwerks ist auch das in Joachim von Sandrarts Academia nobilissimae artis pictoriae 1683 erschienene „Bildnispaar“ mit Porträts von Charles Patin und seiner Tochter Gabriella zu sehen (Abb. 2).

Abb. 2: Leonhard Heckenauer, Miscellantafel mit den Porträts des Charles Patin und seiner Tochter Gabriella Carla Patina, in: Joachim von Sandrart, Academia nobilissimae artis pictoriae, Nürnberg 1683, Taf. 9, Privatbesitz

Von einem ausgeprägten Kunstinteresse zeugt die Auswahl der in Carla Caterinas Buch publizierten Gemälde. Erstmals wird hier jedes der 40 Werke im Reproduktionsstich und mit begleitendem Textkommentar vorgestellt – ein entscheidender Schritt bei der „schweren Geburt des Kunstbuchs“, wie Francis Haskell die Anfänge der Kunsthistoriographie zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert beschrieben hat (Die schwere Geburt des Kunstbuchs, Berlin 1993). Dass die Ausgewählten und erläuterten Gemälde in zwei separaten Ausgaben gedruckt wurden, dürfte dabei politisch-religiöse Gründe gehabt haben: die lateinische, auf eine internationale Leserschaft ausgerichtete Fassung erschien in Padua im Verlag Typographia Seminarii, wogegen das Werk in italienischer Sprache die (fiktive) Verlagsadresse Pierre Marteau in Köln nennt. Schwer zu beurteilen ist, welche Rolle der Vater bei der Auswahl der Bilder spielte. Es besteht eine gewisse Vorliebe für venezianische Malerei bzw. für in Padua und Bologna angefertigte Gemälde vom Ende des Quattrocento bis zur Mitte des Seicento (mit einem Faible für die Werke Veroneses, Tizians und der Gebrüder Carracci). Die vierzig teilweise ausfaltbaren Tafeln wurden zumeist von französischen Stechern hergestellt, wobei auch drei Gemälde aus der Sammlung Patin enthalten sind. Die Reproduktionen werden jeweils von einem Kommentar von Carla Caterina begleitet, die von einem bemerkenswerten Kunstverständnis zeugen. Die junge Autorin beschränkt sich dabei nicht nur darauf, die dargestellten Sujets zu erläutern und Ekphraseis zu liefern, sondern beurteilt die Werke auch nach ästhetischen Gesichtspunkten; so z. B. im Textkommentar zu Paolo Veroneses Urteil des Paris (Abb. 3): „un disegno molto ben fatto, […] per la somma dilicatezza del colorito, e per la ben intesa positura de‘ personaggi, vi spicca maravigliosamente la industria e il valor del Pittore“ (Patina: Pitture, S. 187).

Abb. 3: Hubert Vincent, nach Paolo Veronese, Das Urteil des Paris, in: Carla Caterina Patina: Tabellae selectae ac explicatae, Padua 1691, Taf. XXXV, Privatbesitz

Obwohl es die Intention der französisch-italienischen Kunstschriftstellerin war „di scriver d’alcune Pitture, le quali o instillassero nel cuore la divozione con la moralità dell’argomento, o ricreassero l’animo con la vaghezza di qualche pellegrina istoria“ (Patina: Pitture, S. 211), so sollte sie doch nach dieser wegweisenden Publikation kein einziges Werk mehr veröffentlichen. Unmittelbar nach dem Tod ihres Vaters, ihrem Förderer und dem Familienoberhaupt Patin, am 10. Oktober 1693 trat sie in den Convento delle Venerande Dimesse di Padova ein und entzog sich vollständig dem öffentlichen wie kulturellen Leben. Die Gemälde aus der Sammlung der Familie Patin gingen wohl an den Kunstsammler und späteren Gemahl Gabriellas, Francesco Rosa über.

ANN-KATHRIN FISCHER, M.A., ist Wissenschaftliche Hilfskraft in der Direktion am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Pfisterer am Projekt „Frauen schreiben über Kunst“ mitbeteiligt.

Die Bibliographie erfasst für den Zeitraum bis um 1930 systematisch Texte von Frauen, die über Kunst und Kunstgeschichte schreiben. Ziel ist es, die Schriften dieser Autorinnen nach und nach digital zugänglich zu machen. Sie sollen so im kunsthistorischen Kanon sichtbarer und leichter verfügbar werden. Zugleich werden deren Breite und Vernetzung, aber auch Hürden und Grenzen erkennbar.

Freigestelltes Porträt einer Frau vor zitronengelbem Hintergrund (Emilie Bach).
Alexandra Avrutina über Emilie Bach: zwischen Anpassung und Grenzüberschreitung

„Nun aber gehen die Verirrungen gegen das Stylrichtige und Vernünftige weiter. Nicht genug damit, dass sich Frauen der Täuschung hingeben, Zeichnerinnen und Malerinnen zu sein, sind sie mitunter so kühn und unternehmend und möchten so nebenbei auch ‚Bildhauer‘ sein“ (Emilie Bach: Die weibliche Handarbeit. Vortrag … gehalten in Reichenberg am…

Vor zitronengelbem Hintergrund freigestellt: schwarz/weißes Portrait einer Frau (Helen Zimmern).
Sarah Debatin über Helen Zimmern (1846–1934), Nietzsches englische Freundin

„Komisch! Man hat gut sich wehren gegen Frauen-Emancipation: schon ist wieder ein Musterexemplar eines Litteratur-Weibchens bei mir angelangt, Miss Helen Zimmern,“ schreibt der bekennende Frauenfeind Friedrich Nietzsche 1886 aus Sils Maria an seinen ebenfalls schriftstellerisch tätigen, langjährigen Freund Peter Gast (eigentlich Heinrich Köselitz, 1854–1918). (Mario Leis: Frauen um Nietzsche, Hamburg…

Freigestellte Grafik eines Schlosses mit Wald und Bergen vor zitronengelbem Hintergrund (Schloss Neuschwanstein).
Sarah Debatin über Luise von Kobell

Vielen schreibenden Frauen des 19. Jahrhunderts blieb fachliche und gesellschaftliche Anerkennung zeitlebens versagt. Eine rühmliche Ausnahme ist die Münchner Schriftstellerin Luise von Eisenhart (1828–1901), die unter ihrem Geburtsnamen Luise von Kobell nicht nur Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften wie die Allgemeine Zeitung, Über Land und Meer und die Fliegenden Blätter,…

Leon Krause über Mela Escherich (1877–1956) und die Mystik Jawlenskys

„Ueber Zweck, Notwendigkeit, Naturwahrheit, mit einem Worte über das Wesen der Kunst werden die Meinungen ewig gegeneinander stehen, solange wir uns nicht eingehender mit dem Wesen der Natur beschäftigen. Nicht der uns umgebenden, sondern unsrer eignen“, so zumindest formuliert es die deutsche Kunsthistorikerin Mela Escherich in ihrem Artikel Kunst als…