Christine Tauber zu Napoleons Staatsporträts

Ein Kupferstich. Der Kopf eines jungen Mannes mit dunklen kurzen Haaren steht inmitten eines Kranzes aus Sternen und Lorbeeren. Von ihm gehen Lichtstrahlen aus. In einem von diesen strahlen steht "LOUISE".

PARISER TROUVAILLE NR. 5

Im Rahmen der forcierten Bildnispolitik Napoleons spielen seine Staatsporträts naturgemäß eine zentrale Rolle. Die „Königsklasse“ des Porträts dient wie keine andere Bildgattung der Selbstdarstellung des Herrschers. Daher ist die richtige Wahl des- oder derjenigen Künstler, der bzw. die den Machthaber porträtieren (dürfen), von herausragender Bedeutung. Der Herrscher als Auftraggeber muss seine Imagegestaltung gewissermaßen an den Künstler delegieren, da er selbst zur Erzeugung symbolischen Kapitals mit künstlerischen Mitteln nicht in der Lage ist. Er braucht also eine Art professionellen Imagegestalter, in dessen Produktion er tunlichst auch nicht allzu sehr durch überstrikte Detailvorgaben intervenieren sollte, weil er sonst keine autonome und damit ästhetisch wirkmächtige Kunst bekommen wird, die seinen Bedürfnissen von Herrschaftsrepräsentation und -legitimation in idealer Weise entspricht.

Im Jahr der Kaiserkrönung 1804 und danach entstehen eine Vielzahl von Bildnissen Napoleons im imperialen Krönungsornat, so 1805 von François Gérard (Abb. 1), 1807 von Robert Lefèvre, um 1812 dann von Anne-Louis Girodet-Trioson. Unverkennbar referieren sie auf Hyacinthe Rigauds berühmte „portraits d’apparat“ von Louis XIV und Louis XV, in denen Macht- und Herrschaftslegitimation nicht nur über die Hermelinmäntel, die prominent inszenierten Insignien und sonstige Herrschaftszeichen im Bild betrieben wird, sondern auch durch die Allusion an antik-römische Imperatorenstandbildnisse und durch den Vorhang, der die königliche Erscheinung zu einer Art „apparitio“ aus dem Nichts stilisiert. Als hätte es die Französische Revolution nie gegeben, greift Bonaparte lückenlos auf Darstellungskonventionen in den Porträts der wundertätigen Könige des Ancien Régime zurück. Napoleon im Krönungsornat kam mehrfach als diplomatisches Geschenk ins Ausland zum Einsatz. Außerdem sollte das Porträt in möglichst vielen französischen Departementverwaltungen und Rathäusern aufgehängt werden, um den Kaiser der Franzosen als oberste Autorität in effigie präsent sein zu lassen – ein besonders interessanter Fall von Bildnisproliferation jenseits des Massenmediums Druckgrafik.

Den Höhepunkt dieser imperialen Selbstfeier bildet Jean-Auguste-Dominique Ingres’ Napoleon auf dem Kaiserthron von 1806 (Abb. 2; vgl. hierzu Uwe Fleckner, Die Wiedergeburt der Antike aus dem Geist des Empire. Napoleon und die Politik der Bilder, in: Napoleon und Europa. Traum und Trauma. Ausst.kat. hg. v. Bénédicte Savoy, Bonn 2010, S. 101–115; ders., Napoleon I. als thronender Jupiter. Eine ikonographische Rechtfertigung kaiserlicher Herrschaft, in: Idea. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle 8, 1989, S. 121–134). Der Kaiser ist hier streng hieratisch gegeben, sein höchst intensiver Blick, der alles sieht, was in seinem Imperium vorgeht, unterwirft den Betrachter als Untertan. Dieser wird auf das Niveau des Teppichs in den Kniefall hinuntergedrückt, wo ihm der eingewebte kaiserliche Adler als Double des Thronenden vor Augen tritt. In imperialem Gestus zeigt Napoleon die Herrschaftszeichen des französischen Königtums wie der antike Göttervater Zeus sein Blitzbündel vor. Die Bildgattung des „theomorphen“ Porträts spielt zumindest subkutan darauf an, dass seine Herrschaft eine gottgegebene und göttlich legitimierte ist. Die absolut frontale Ansicht auf dem Thron war bis dahin Götterbildern wie der Zeusstatue in Olympia, aber auch Jan van Eycks Gottvater im Genter Altar vorbehalten.

Die Thronlehne bildet einen gigantischen Nimbus, und die Insignien werden von dem imperialen Siegeskranz aus vergoldeten Lorbeerblättern komplettiert. Der Kopf des Kaisers ist durch die hochartifizielle Halskrause in der Tradition byzantinischer Bildnisse des halbgöttlichen Basileus als Bild im Bild hervorgehoben. Die „individuelle Porträtähnlichkeit Napoleons“ ist so zur „Ikone kaiserlicher Herrschaft“ erstarrt (Fleckner 2010, S. 107), zu einer frontal gegebenen Maske despotischer Macht. Diese „Vera Icon“ verselbstständigt sich in der Folge zu einem sich verabsolutiert habenden, freigestellten Gesicht im Strahlenkranz und mit Lorbeerumrandung, zuerst auf Laurent Dabos’ kreisrundem Gemälde von 1812, dann – mit deutlich größerer Porträtähnlichkeit – auf Antoine Auberts Stich Napoleon le Grand mit der panegyrischen Subscriptio, die den Kaiser als Reinkarnation des Sonnenkönigs erstrahlen lässt: „Astre brillant, immense, il éclaire, il féconde et seul fait à son gré tous les destins du monde“ (Abb. 3).
Nach der Kaiser(selbst)krönung und dann verstärkt im Zuge der nachlassenden militärischen Erfolge fokussiert die napoleonische Porträtpolitik zunehmend auf die Konsolidierung der imperialen Macht. Jacques-Louis David malt Napoleon 1812 in seinem Arbeitszimmer (Abb. 4) als besonnenen Regenten, der den ganzen Tag über und selbst noch nachts bei Kerzenlicht unermüdlich für Frankreich tätig ist. Von einer Truppeninspektion herbeigeeilt, bei der er sich seine blütenweiße Uniform nicht beschmutzen musste, geht er sofort an den Schreibtisch, um seinen Code Napoléon weiter auszuarbeiten. Dieser in allen Lebenslagen besonnen agierende Gesetzgeber verweist mit seiner berühmten selbstbeherrschten Handhaltung auf die maßvolle und hochprofessionelle Amtsführung dieses stets nur auf das Wohl des französischen Volkes bedachten „pater patriae“. In diesem Porträt geht es um die Darstellung desjenigen, der das krisengeschüttelte Frankreich konsolidiert – nach außen wie nach innen. Mit seiner beruhigenden und auf die eigene Stabilität und Standfestigkeit in allen Wirren rückverweisenden Geste manifestiert sich seine Gefasstheit und Entschiedenheit, die große Aufgabe des Erhalts der einmal für Frankreich gewonnenen Machtposition souverän zu bewältigen.

Der offizielle Image- und Bildnisgestalter Napoleons war seit etwa 1797 Antoine-Jean Gros (vgl. David O’Brien, After the Revolution. Antoine-Jean Gros, Painting and Propaganda Under Napoleon, University Park, Pennsylvania 2006; Werner Telesko, Napoleon Bonaparte. Der „moderne Held“ und die bildende Kunst 1799–1815, Wien/Köln/Weimar 1998). In seinem großen Salonerfolg von 1804, Napoleon besucht die Pestkranken von Jaffa (Abb. 5), klaffen historische Realität und stilisierende Idealisierung Napoleons besonders weit auseinander. Eine der unrühmlichsten Episoden des ohnehin nicht gerade überwältigend erfolgreichen Ägyptenfeldzuges wird hier zum Anlass eines peinlichen Rehabilitationsaktes in fulminanter künstlerischer Faktur: Napoleons skandalöses Verhalten gegenüber seinen eigenen pestkranken Soldaten sollte weißgewaschen werden, hatte er doch im Mai 1799 beim Rückzug den Befehl gegeben, die Kranken durch seine Ärzte vergiften zu lassen. Auf Gros’ Riesengemälde stellt sich der Vorgang jedoch ganz anders dar. Napoleon ist hier der Heilende, Mut Zusprechende, der durch sein leibhaftiges Auftreten in dieser hochinfektiösen Umgebung die Moral seiner Männer stützt. Er invertiert nicht nur den Gestus des Ungläubigen Thomas, der hier ein mit Gewissheit heilender ist, sondern auch den in manieristischen Darstellungen der Szene des Noli me tangere – Napoleon muss sich nicht entziehen, sondern kann ohne Gefahr die für alle anderen hochgradig ansteckende Pestbeule des Kranken berühren und ihm damit Linderung verschaffen. Er selbst ist unverwundbar und vollkommen furchtlos, im Gegensatz zu dem General hinter ihm, der als Kontrastfigur ängstlich ein Taschentuch vor sein Gesicht hält. Napoleon hat sich sogar seines schützenden Handschuhs entledigt, um den gleichen lebensspendenden Gestus wie Gottvater in Michelangelos Deckenfresko in der Cappella Sistina bei der Schöpfung Adams zu vollziehen.

O’Brien kann zeigen, dass Gros auf diese unter moralischen Gesichtspunkten äußerst heikle Darstellungsaufgabe mit Überkompensation reagiert. Er stattet seinen Napoleon im Pestspital mit allen nur denkbaren panegyrischen Ikonographien aus, die der Legitimationsabsicht des zukünftigen Kaisers hilfreich sein können. Nicht nur die thaumaturgischen Fähigkeiten Napoleons werden betont, die er von den französischen Königen des Mittelalters und des Ancien Régime geerbt zu haben scheint, er ist zugleich eine Art Christusfigur, und er zitiert in seiner Haltung das große Vorbild antiker emotionaler Gefasstheit, den Apoll vom Belvedere.

Zu dem neugeschaffenen Image Napoleons als eines Friedensbringers und Gesetzgebers wollte Gros’ fulminante Darstellung der Schlacht von Aboukir von 1806 dann allerdings mit ihrer extremen Gewalttätigkeit und Sinnlichkeit auch in der malerischen Faktur nicht mehr so recht passen, zumal sie den eklatanten Nachteil aufwies, dass nicht Napoleon hier der Held ist, sondern sein Offizier und Schwager Joachim Murat. Gros schwenkte denn auch recht bald in den friedlichen Mainstream ein, mit schauderhaften Ergebnissen wie dem kompositorisch wie malerisch sowie in den Porträtdarstellungen misslungenen Bild Das Zusammentreffen von Napoleon und Franz II. nach der Schlacht von Austerlitz von 1812 (Abb. 6).

Das war die Pariser Trouvaille Nr. 5 im Rahmen der Porträt-Serie von Spotlight, Fortsetzung zu kritischen Gegenporträts folgt…

Prof. Dr. CHRISTINE TAUBER ist die verantwortliche Redakteurin der Kunstchronik am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Professorin am Kunsthistorischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München.