Die Karteikarten der Kunsthandlung Julius Böhler verraten nicht nur viel über den deutschen und europäischen Kunsthandel des 20. Jahrhunderts. Manchmal geben sie auch einen Einblick in die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zur Zeit ihrer Erstellung und machen dadurch neben wirtschaftlichen Fakten auch persönliche Schicksale sichtbar.
Dies ist der Fall bei zwei Karteikarten der Kunsthandel AG in Luzern. Sie dokumentieren den Ein- und Ausgang eines Panneaus mit Flamboyant-Rosetten (Abb. 1 +2) sowie spätgotischer Fensterrahmen (Abb. 2 +3). Die Objekte gelangten Anfang September 1937 in die Luzerner Firma und wurden nur wenige Tage später zu „Jacques Bauml Paris“ in Kommission gegeben, wie uns ein Blick auf die Rückseiten der Karteikarten verrät.
Auf den Vorderseiten lesen wir, ohne nähere Angabe zum Zeitpunkt der Einträge, „Im Krieg verloren Frau Bauml & Sohn im Konzentrationslager ermordet.“ Die Nüchternheit der Notiz lässt den heutigen Betrachter erschauern, bringt ihm jedoch zugleich den Alltag der Kriegsjahre näher.
Wer aber genau waren „Frau Bauml“ und „Sohn“ und in welcher Beziehung standen sie zu Julius Böhler?
Die Korrespondenzen zwischen Julius Wilhelm Böhler (1883–1966) und Sabine (1873–1944) bzw. Jacques Bauml (1903 –1944) im Bayerischen Wirtschaftsarchiv deuten auf ein gutes Verhältnis zwischen den Kunsthändlern hin, das über eine rein geschäftliche Beziehung hinausging (vgl. Korrespondenzen mit Bauml/Beck in den Jahren 1931 bis 1943 im Bayerischen Wirtschaftsarchiv F43/2, 28, 68, 93, 119, 168, 234). Sabine führte nach dem Tod ihres Mannes, Henri Bauml (1852–1926), gemeinsam mit ihrem Sohn Jacques die Kunst- und Antiquitätenhandlung H. Bauml. Der Schriftwechsel mit Böhler ist ab 1931 überliefert. Eine Bemerkung Jacques Baumls lässt jedoch darauf schließen, dass der Kontakt schon längere Zeit bestand: Er bestätigte in einem Schreiben zu Beginn des Jahres den Empfang einer Rechnung, die „wie immer“ in Ordnung sei und entschuldigte sich dafür, dass er diese aktuell noch nicht begleichen könne. Daraus geht hervor, dass der Pariser Kunsthändler Schulden bei Böhler hatte. Letzterer zeigte jedoch Verständnis und plante sogar ein gemeinsames Treffen in der französischen Hauptstadt. Im Mai 1931 verbrachten Böhlers ein paar Tage in Paris, im Juli besuchte Fritz Steinmeyer, der Direktor der Luzerner Kunsthandlung, die Familie Bauml.
Auch in den darauffolgenden Jahren gelang es Sabine und Jacques Bauml nicht, die Schulden bei Böhler zu begleichen. Die Angelegenheit wurde kompliziert, als die Münchner Kunsthandlung 1933 „sämtliche Auslandsforderungen dem Finanzamt melden“ musste und die Behörde ihm nahelegte „dafür zu sorgen, dass diese Aussenstände [sic!] hereinkommen“. 1939 beschlossen Böhler und Jacques Bauml diese Schulden durch die Übernahme von Ware zu begleichen, was die Überwachungsstelle für Waren verschiedener Art jedoch – trotz Böhlers Einsatz für seine „gute[n] Geschäftsfreunde“ – ablehnte.
Das letzte Schreiben von Böhler an Jacques Bauml ist für Dezember 1940 überliefert. Anschließend vergingen knapp zwei Jahre, bis der Münchner Kunsthändler wieder einen Brief aus Paris erhielt – von dem Insolvenzverwalter J. Villemin, der den Auftrag erhalten hatte, den aus der Liquidation der jüdischen Firma Bauml erzielten Erlös zu verteilen. Die Kunst- und Antiquitätenhandlung H. Bauml war durch das Vichy-Regime aufgelöst und ihre Ware schließlich versteigert worden. Villemin beglich im Frühjahr 1943 die Schulden Baumls an Böhler aus diesem Nachlass.
Sabine Bauml und ihr Sohn Jacques sowie ihre Schwestern Pauline (1874–1964) und Hedwige (1876–1964) Beck flohen 1942 nach Lyon. Jedoch hielten sich Mutter und Sohn aus bisher nicht bekannten Gründen Anfang 1944 in der Pariser Wohnung auf. Am 30. Januar wurden sie dort von der Gestapo verhaftet und am 8. Februar in Drancy interniert. Zwei Tage später folgte ihre Deportation nach Auschwitz-Birkenau. Sabine starb noch am selben Tag im Zug, Jacques am 15. Februar, nur zwei Tage nachdem er das Konzentrationslager erreicht hatte (Charles Rosner, Emancipation. Etes-vous (aussi) de Czernowitz?, 2007, S. 126 ff:http://hauster.de/data/EmancipationFR.pdf [Zugriff: 24.01.2023]).
Einige der Antiquitäten konnten rechtzeitig bei Freunden und Verwandten untergebracht und somit vor der Plünderung bewahrt werden. Ein Teil davon gelangte später wieder in die Hände der Beck-Schwestern. Bis in die 1940er Jahre hinein hatten diese Sabine und Jacques in dem Pariser Geschäft unterstützt, das sie nach Kriegsende jedoch nicht mehr eröffneten. So zeugen die Karteikarten nicht nur vom tragischen Schicksal von Sabine und Jacques Bauml, sondern auch von dem damit verbundenen Ende der Pariser Kunst- und Antiquitätenhandlung H. Bauml. Auf privater Ebene blieb der Kontakt zwischen den Schwestern Beck und der Familie Böhler bestehen. Seit den späten 1940er Jahren korrespondierte Julius Gustav Böhler (1929–2010) mit den beiden. Sie erzählten: „Wir sind gesund und haben uns in das Unvermeidliche gefügt. Die Jugend und die schönen Tage liegen weit hinter uns“. Auf der Gegenseite beteuerte Böhler noch viele Jahre nach dem Krieg: „Obwohl wir uns selten sehen, fühlen wir uns doch mit Ihnen immer noch aufs tiefste verbunden […]“.
ANNA-LENA LANG, M.A., ist Doktorandin an der LMU und wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt „Händler, Sammler und Museen: Die Kunsthandlung Julius Böhler in München, Luzern, Berlin und New York. Erschließung und Dokumentation der gehandelten Kunstwerke 1903-1994“ am Zentralinstitut für Kunstgeschichte.