Viktoria Räuchle über die Bibliothek des Instituts für Klassische Archäologie an der LMU und ihre Wohltäter |
Das wohl bekannteste Vermächtnis von James Loeb im altertumswissenschaftlichen Bereich stellt die im Jahr 1911 gegründete und bis heute laufende Editionsreihe Loeb Classical Library (LCL) dar, die Werke griechischer und lateinischer Autoren im Original mit englischer Übersetzung herausgibt. Unsere Bibliothek schmückt sich mit einer veritablen Sammlung von Erstausgaben der LCL-Reihe, zahlreiche von ihnen wurden unserem Institut von James Loeb persönlich geschenkt. Auf das Exlibris des Seminars, das die Göttin der Weisheit Athena mit einer Schreibtafel zeigt, wurde in diesen Fällen ein kleines Etikett in Form einer „Tabula ansata“ geklebt, welches den Band als Geschenk des Philantropen auszeichnet (Abb. 3).
Zu Loebs Stiftungen an unsere Bibliothek gehört auch die von Roger William Paton übersetzte, fünfbändige Ausgabe der Anthologia Graeca, einer Sammlung von griechischen Epigrammen von der Archaik bis in die byzantinische Zeit. Bei diesen Kurzgedichten handelt es sich in vielen Fällen um literarische Beschreibungen antiker Bildwerke, die in den meisten Fällen nicht mehr erhalten sind und damit allein durch die Schriftquellen für die Forschung fruchtbar gemacht werden können. Fünf in der Anthologie gesammelte Epigramme beschreiben die Statue eines gefesselten Eros, der mit den Händen an einen Pfeiler gebunden ist und auf diese Weise für seine Untaten gegen arme verliebte Menschenseelen bestraft wird. Der kaiserzeitliche Dichter Satyrus bezieht sich auf die Metapher der fesselnden Leidenschaften, wenn er sich fragt, ob der in Ketten gelegte Gott möglicherweise einst dem Künstler den Sinn gefesselt hat (Abb. 4). Eine frühe und hinsichtlich der Interpretation bis heute überzeugende Studie zu diesem faszinierenden Motiv stammt aus der Feder des Klassischen Archäologen Ludwig Curtius, eines Furtwängler-Schülers, der sich 1907 an der LMU München habilitiert und im Umkreis der Münchner Altertumswissenschaften auch mit James Loeb Bekanntschaft gemacht hatte. Seine Miszelle zum gefesselten Eros deutet das Motiv als ironischen Kommentar auf die Launen der Liebe und erschien 1930 unter dem Titel „Poenitentia“ (Abb. 5). Wie es der Zufall will, in der Festschrift für James Loeb zum Anlass seines 60. Geburtstages…
Das Beispiel zeigt: Die Institutsbibliothek der Klassischen Archäologie in München bietet dank ihres dezidiert bildwissenschaftlichen Schwerpunktes und ihres gut sortierten Bestandes an antiken Autoren den idealen Standort, um visuelle Kulturgeschichte auch zu entlegeneren Themengebieten zu betreiben. Will man sich mit der nachantiken Motivgeschichte des in Ketten gelegten Liebesgottes beschäftigen, so wird man indes ein Stockwerk weiter unten in der Bibliothek des ZI fündig. Hier stößt man etwa in der 50. Ausgabe der Zeitschrift Oud Holland von 1933 auf einen Beitrag von Erwin Panofsky mit dem Titel Der gefesselte Eros (Zur Genealogie von Rembrandts Danae), in dem der Kunsthistoriker die Bedeutung des Motivs von der Antike bis zum Œuvre des Niederländers erkundet. Dass man Panofskys bis heute gültigen Überlegungen ausgerechnet dort studieren kann, wo vor einigen Jahren überraschend seine verschollene Habilitationsschrift auftauchte, macht unsere tägliche Forschungsarbeit dabei noch reizvoller.
Dr. VIKTORIA RÄUCHLE ist akademische Rätin auf Zeit am Institut für Klassische Archäologie der LMU München und für die wissenschaftliche Betreuung der Institutsbibliothek zuständig. In ihrer Habilitationsschrift widmet sie sich dem facettenreichen Bildthema des gefesselten Eros in der antiken Kunst und Literatur.
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