Lust auf Verschlusssachen? Ann-Kathrin Fischer und Martin Stahl über besondere Bücher aus dem Bibliotheksbestand des ZI

Unter dem Motto „Wissen. Teilen. Entdecken“ fand am 4. April 2025 in München zum ersten Mal die „Nacht der Bibliotheken“ statt, an der sich auch das Zentralinstitut für Kunstgeschichte mit seiner Bibliothek beteiligte. Ann-Kathrin Fischer, Kunsthistorikerin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Direktion am ZI, und Martin Stahl, Bibliothekar und verantwortlich für die Benutzungsdienste unserer Bibliothek, stellten zu diesem Anlass ihre persönlichen Favoriten aus dem Bestand der ZI-Bibliothek vor. 

Abb. 1: Vitruv: Hoc in volumine haec opera continentur: Cleonidae Harmonicum introductorium, interprete Georgio Valla placentino : L. Vitruvii Pollionis De architectura libri decem.- Sexti Iulii Frontini De aquaeductibus liber unus ; Angeli Policiani opusculum: Quod Panepistemon inscribitur ; Angeli Policiani in priora (Aristotelis) analytica praelectio, cui titulus est Lamia. – Venetiis : per Simonem Papiensem dictum Bivilaquam, 1497, Titelseite, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München [BZI: CA 8/206 R]
Abb. 2: Vitruvius/ Fra Giocondo: M. Vitruvius per Iocundum solito castigatior factus: cum figuris et tabula, ut iam legi et intelligi possit; cum figuris et tabula, ut iam legi et intelligi possit, Venedig 1511, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München [BZI: CA 8/208 R]

Architekturtheoretische Quellenschriften zählen zu den Sammelschwerpunkten der Bibliothek des ZI. Gleich mehrere entsprechende Traktate beinhaltet eines der ältesten Bücher aus dem Bibliotheksbestand [BZI: CA 8/206 R], das im Jahr 1497 in der Offizin des Simon Bevilaqua in Venedig gedruckt wurde (Abb. 1). Der Wiegendruck umfasst auf rund 90 Blättern u. a. Vitruvs Schrift De architectura sowie weitere Werke zur Architekturtheorie. Eine erste gedruckte Vitruv-Ausgabe war bereits 1486 in Rom erschienen. Richtungsweisend für die weitere Vitruv-Rezeption war insbesondere Fra Giocondos mit 140 Holzschnitten (Abb. 2) reich bebilderte Ausgabe von 1511 [BZI: CA 8/208 R]. Simon Bevilaquas Druck von 1497 enthält im Unterschied dazu nur einige wenige Illustrationen.

Abb. 3: Sebastiano Serlio: Il terzo libro di Sebastiano Serlio bolognese, nel quale si figurano, e descrivano le antiquità di Roma, e le altre che sono in Italia, e fuori de Italia, Venedig 1544, S. 119, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München [BZI: 4° CA 255/436 R]

Speziell der antiken Architektur Roms gewidmet ist der dritte Band [BZI: 4° CA 255/436 R] des Sette libri d’archittetura genannten Architektur-Traktats des aus Bologna stammenden Malers und Architekten Sebastiano Serlio (1475–1554). Zwischen 1537 und 1575 – das siebte Buch erschien posthum – verfasste Serlio insgesamt sieben Bände zur klassischen Architektur, die das damalige Wissen zur Architekturtheorie bündeln sollten. Fragmente zweier weiterer Bücher aus der Feder Serlios wurden im 20. Jahrhundert veröffentlicht. Der dritte Band behandelt ausführlich die antiken Bauten Roms, darunter das Pantheon, das Kolosseum oder den Konstantinsbogen (Abb. 3), deren Architektur im 16. Jahrhundert als vorbildhaft galten. Erfasst wurde von Serlio dabei auch die Weihinschrift im Zentrum auf der Vorderseite des Triumphbogens, die an Kaiser Konstantins Sieg über seinen Konkurrenten Maxentius in der Schlacht an der Milvischen Brücke im Jahr 312 erinnert.

Abb. 4: Carsten Niehbur: Carsten Niebuhrs Reisebeschreibung nach Arabien und anderen umliegenden Ländern, Bd. 1, Kopenhagen 1774, Titelseite, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München [BZI: CA 510/183(1 R]

Architekturhistorische Beobachtungen spielen auch in Carsten Niebuhrs Reisebeschreibung nach Arabien und anderen umliegenden Ländern eine zentrale Rolle, von der sich der 1774 in Kopenhagen bzw. Hamburg erschienene erste Band im Bibliotheksbestand befindet [BZI: CA 510/183(1 R, Abb. 4]. Die übrigen Bände sind als spätere Nachdrucke zugänglich [BZI: CA 510/183(2 & CA 510/183(3]. Die darin enthaltenen Beschreibungen von Land und Leuten gehen auf eine durch den Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis (1717–1791) initiierte Expedition zurück, die Niebuhr zwischen 1761 und 1767 zusammen mit weiteren Wissenschaftlern u. a. nach Ägypten, in den Jemen und nach Indien führte. Nach seiner Rückkehr – Niebuhr war der einzige Überlebende der Expedition – erschien 1772 ein erster kurzer Reisebericht. Die ausführliche Dokumentation wurde von Niebuhr ab 1774 veröffentlicht, wobei der dritte und letzte Band erst 1837 – und damit posthum – herausgegeben wurde. Niebuhrs Publikationen erfuhren in der Folgezeit breite Rezeption in ganz Europa und bereicherten den Wissensstand seit dem 18. Jahrhundert.

Abb. 5: Athanasius Kircher: Romani Collegii Societatis Jesu Musæum Celeberrimum…, Amsterdam, 1678, Frontispiz, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München [BZI: 4° CA 151/234 R]

Giorgio Vasaris Viten-Ausgabe von 1568 (die Erstausgabe, die er „mit dem Stift eines Zeichners […] lediglich skizziert und schattiert“ hatte [Le Vite…, Bd. 1, S. 3], erschien bereits 1550) ist eine weitere Besonderheit aus dem Bestand unserer Bibliothek (Giorgio Vasari: Le Vite De‘ Piv Eccellenti Pittori, Scvltori, E Architettori, Bd. 3,2, Florenz 1568, [BZI: CA 254/505(3,2 R]). Gleich zwei Bildnisse des schreibenden Malers und Architekten sind hierin inkludiert: sein Bildnis als Autor des Werks zu Beginn, und sein Porträt als Künstlervor seiner eigenen Vita. Anhand der Gestaltung der Porträtrahmen ist stets auszumachen, ob der jeweilige Künstler, den Vasari in seine Publikation aufnahm, im Bereich der Skulptur, Malerei oder Architektur tätig gewesen war.

Illustriert werden in der Frühen Neuzeit auch einzelne Sammlungsräume. Vorzugsweise sind diese als Frontispiz den druckgrafischen Kunst-Sammlungskatalogen vorangestellt, wie im Falle von Athanasius Kirchers Romani Collegii Societatis Jesu Musæum Celeberrimum…, Amsterdam, 1678 (Abb. 5) oder Lorenz Begers Thesaurus Brandenburgicus Selectus (Bd. 1, Coloniae Marchicae 1696, Bl. nach S. 2), wo das Münz- und Antikenkabinett im Berliner Stadtschloss auf S. 2 des ersten Bandes abgebildet ist. Das dreibändige Werk von fast 1400 Seiten (ersch.1696, 1699, 1701) beschreibt umfangreich die kurfürstlich-königliche Münz- und Antiquitätensammlung Friedrichs III. Bereits im 18. Jahrhundert waren die Foliobände eine „Zierde einer jeden Bibliothek“ (Anton Balthasar König: Versuch einer historischen Schilderung der Hauptveränderungen der Religion, Sitten, Gewohnheiten, Künste und Wissenschaften der Stadt Berlin, Bd. 3, Berlin 1795, S. 61). Lorenz Beger, Bibliothekar, Numismatiker und Rechtswissenschaftler, druckte in der Publikation vor allem antike Münzen mit Kaiserbildnissen sowie Gemmen nach Göttern und Heroen ab. Der Halbgott und Tugendheld Herkules erscheint im Falle einer Gemme sogar als Doppelbildnis mit seiner Frau Deianira. Als Münzbildnis nahm schon zuvor Guillaume Rouillé das Paar in sein Promptuaire des médalles von 1553 auf. In Band 3 ergänzte Beger das Repertoire dann um Büsten, Öllampen, Vasen und Urnen sowie Statuetten, wie jene des Herkules. Selbst Phalli – ein Symbol für Kraft und Fruchtbarkeit – sind berücksichtigt.

Abb. 6: Ludwig von Brunn (Hg.): Ars erotica, Bd. 3, S. 21, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München [BZI: 4° NO 121/350(3 R]
Abb. 7: Ludwig von Brunn(Hg.): Ars erotica, Bd. 3, S. 57, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München [BZI: 4° NO 121/350(3 R]

Lust und Begierde sind Thema in der Ars erotica, einem Kompendium mit erotischen Illustrationen, das Ende des 18. Jahrhunderts in drei Bänden erschien (hier Reprint von Ludwig von Brunn (Hg.): Ars erotica, Bd. 3 [BZI: 4° NO 121/350(3 R]. Teils stammen diese Illustrationen aus der 1798 veröffentlichten Publikation L’Arétin d’Augustin Carrache, bekannt auch als Recueil de Postures Erotiques. Mit seiner Ars erotica knüpfte Jacques Joseph Coiny (1761–1809) an die Stichserie des Bologneser Künstlers Agostino Carracci (1557–1602) an. Carracci hatte die  Modi von Marcantonio Raimondi nach Giulio Romano weiterentwickelt. Diese wurden 1524 gedruckt, dann aber auf Geheiß von Papst Clemens VII. verbrannt. Für die zweite Ausgabe von 1527 dichtete dann Pietro Aretino  seine Sonetti lussuriosi – nach diesen Illustrationen. An eine der sechzehn Darstellungen möglicher Liebesstellungen knüpft die akrobatische Stellung von Deianira und Herkules in der Ars erotica an (Abb. 6). Voller Liebe und Begehren hält der Halbgott seine Frau an Gesäß und rechtem Bein, wobei sich beide lustvoll in die Augen sehen. Eine Abwandlung des Stichs zeigt die kolorierte und spiegelverkehrte Darstellung des Liebesakts von Herkules und Deianira, die nach Veröffentlichung der neu edierten L’Aretin D’Augustin Carrache in die Ars erotica eingebunden wurde (Abb. 7). Band 3 enthält Darstellungen, die aus 23 verschiedenen Publikationen stammen.

[Abb. 8: Bernard de Montfaucon: Griechische und römische Alterthümer, welche der berühmte Montfaucon ehemals den dazu gehörigen Supplementen in zehen Bänden in Folio, an das Licht gestellet hat … in dt. Sprache, Nürnberg 1757, Taf. XXVI, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München (BZI: ZA 54/4 R)]

Gleich 88 Herkules-Darstellungen stellte Bernard de Montfaucon in seiner L‘Antiquité expliquée en figures, zusammen Bd. 1,2, Paris, 1722, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München [BZI: 4° ZA 50/12(1,2 R] – einer ‚Bilder-Enzyklopädie‘ von Antiken-Darstellungen, die von 1719 bis 1724 in 15 Folio-Bänden und mit über 1.000 Kupferstich-Tafeln in Paris publiziert wurde. Eine Auswahl davon findet sich in der deutschen Ausgabe von 1757 (Griechische und römische Alterthümer, welche der berühmte Montfaucon ehemals den dazu gehörigen Supplementen in zehen Bänden in Folio, an das Licht gestellet hat … in dt. Sprache, Nürnberg 1757 [BZI: ZA 54/4 R, Taf. XXVI], Abb. 8).

[Abb. 9: Paolo Maffei/Domenico Rossi: Raccolta di statue antiche e moderne, Rom 1704, Taf. 44, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München [BZI: 4° CN 3/10 R]

Das Bemerkenswerte dieser Ausgabe ist das Imperial-Format der Stiche nach antiken und frühneuzeitlichen Statuen, welche Paolo Maffei und Domenico Rossi in ihrer Publikation von 1704 realisierten (Raccolta di statue antiche e moderne, Rom 1704, Taf. 44 [BZI: 4° CN 3/10 R], Abb. 9). Mit einer Blattgröße von 355 x 460 mm sticht die Darstellung des Herkules Farnese, die hier in der Sektion zu Herkules-Figuren gezeigt ist, hervor; das Plattenformat von 195 x 320 mm reicht damit an die Stiche in Imperial-Format von Antonio Lafreri und Antonio Salamanca aus dem 16. Jahrhundert heran.

Abb. 10: Andrea Alciati: Les emblêmes de maistre Andre Alciat, puis naguères augmentez par le dict Alciat, et mis en rime françoise, avec curieuse correction, Paris 1542, S. 50, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München [BZI: SB 131/24R]

Winzig erscheint dagegen das Emblembüchlein von Andrea Alciato (Les emblêmes de maistre Andre Alciat, puis naguères augmentez par le dict Alciat, et mis en rime françoise, avec curieuse correction, Paris 1542, [BZI: SB 131/24 R], Abb. 10). Das Blatt mit der Darstellung von Herkules mit den Pygmäen, welches hier stellvertretend gezeigt ist (S. 50), misst lediglich 95 x 160 mm (Plattenmaße: 60 x 65 mm). Dieses Thema griff auch Dosso Dossi in seinem Gemälde von um 1534 auf. Der Tugendheld lagert in beiden Fällen riesenhaft im Vordergrund und wird von einem Heereszug miniaturhaft dargestellter Pygmäen ringsum belagert.

ANN-KATHRIN FISCHER, M.A., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Direktion am Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI)| MARTIN STAHL, B.A., M.A. ist Bibliothekar in der Bibliothek des ZI.

Ulrich Pfisterer über „Michelangelo ist der Grösste!” Ein farbiger Handkupferdruck der Firma Braun & Co. (nach 1913)

Der große Michelangelo sollte die Kunstdruckanstalt Braun & Co. im Elsass retten. Und zwar in Gestalt eines kolorierten Handkupferdrucks mit der Szene der Erschaffung Adams von der Sixtinischen Decke – angesichts der imposanten Maße von 135 x 65 cm eine drucktechnisch-handwerkliche Meisterleistung (Abb. 1). Wie kam es dazu?

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Frederick Crofts & Davide Martino on “The Age of Neptune”: Art and the Power of Water, c. 1520–1650

Our research project uncovers the forgotten Neptunomania which seized European courts and cities from the early sixteenth to the mid seventeenth century. Since Aby Warburg’s inchoate formulation of “The Age of Neptune” in his Bilderatlas Mnemosyne, which can be seen here, a systematic study of this craze for water-god imagery has never been undertaken. Building on explorations of the agentive and affective qualities of images and the afterlife of the classical tradition, as well as the link between the fashioning of state power and the emergence of the new philosophies, our ultimate aim is to reframe our understanding of the early modern period as “The Age of Neptune”.

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Cosima Dollansky über Kunsthandel und Filmkunst: Wenn Handelsware zur Requisite wird

Kunsthandelsquellen wie die Karteikarten und Fotomappen der Kunsthandlung Julius Böhler in München und der Kunsthandel AG in Luzern gelten heute als wertvolle Ressourcen für die Erforschung des historischen Kunstmarkts und die Rekonstruktion von (Privat-)Sammlungen. In erster Linie sind sie derzeit aber von essenzieller Bedeutung für Provenienzforschung und die Aufklärung von unrechtmäßigen Entzugskontexten. Doch zwischen den rückseitig auf den Karteikarten notierten Einträgen zu Angeboten und Verkäufen wurden gelegentlich auch Leihgaben an Filmproduktionsgesellschaften gelistet.

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Wanderstraßen der Antike. Ann-Kathrin Fischer über die (ikonographischen) Darstellungsspielräume der Figur des Herkules in der Druckgraphik

Die Ausstellung „Wanderstraßen der Antike. Gedruckte Bilderschätze der Frühen Neuzeit“ ist bis zum 10. Januar 2024 am ZI in München zu sehen.

Bernard de Montfaucon folgt in seinem L‘Antiquité expliquée – einer „Bilder-Enzyklopädie“ von Antiken-Darstellungen, die von 1719 bis 1724 in 15 Folio-Bänden und mit über 1.000 Kupferstich-Tafeln in Paris publiziert wurde – auch den „Wanderstraßen“ (vgl. Blogbeitrag: Timo Strauch über „Wanderstraßen der Antike“ (11.12.2024)) der Herkulesdarstellungen. In zehn Kapiteln des zweiten Bandes werden ganze 88 Darstellungen des Heros gezeigt. Sie reichen vom jungen Herkules mit der Schlange (Taf. 123) bis hin zum Herkules Farnese (Taf. 125). Ergänzend dokumentieren zahlreiche Abbildungen seine Heldentaten (Taf. 126, 127, 131–133). Weitere stellen Herkules in seiner Funktion als Musagetes, den Gefährten und Beschützer der Musen, dar wie Taf. 137, die später in der im Umfang reduzierten deutschen Ausgabe von 1757 wiederholt wird (Abb. 1).

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Timo Strauch über Wanderstraßen der Antike

Die Ausstellung „Wanderstraßen der Antike. Gedruckte Bilderschätze der Frühen Neuzeit“ ist bis zum 10. Januar 2024 am ZI in München zu sehen.

Dicht gedrängt und in strahlendem Weiß präsentieren sich die Gipsabgüsse hunderter antiker Kunstwerke im nördlichen Lichthof des Hauses der Kulturinstitute und vermitteln den Besucher*innen gleichsam handgreiflich die Bedeutung, welche der Kenntnis und der Vertrautheit mit diesen Abbildern von Göttern, Helden und Themen der Kulturen des Altertums schon immer zugemessen wurde. Viel länger als der wegen seiner Fertigungsweise echte Originaltreue garantierende Abguss dienten dazu allerdings die verschiedenen Erscheinungsformen der Druckgrafik, von denen nun eine exemplarische Auswahl in der von Ulrich Pfisterer und Ann-Kathrin Fischer kuratierten Vitrinenausstellung Wanderstraßen der Antike. Gedruckte Bilderschätze der Frühen Neuzeit gezeigt wird (Abb. 1).

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“Cavendum a meretricibus”. Pierre Tchekhoff about the Reception History of an ancient Sorceress

Surrounded by nature and beasts under her spell, Circe is still to this day one of the most famous sorceresses in classical literature. She is a key character for Book Ten of Homer’s Odyssey, and she reappears in Pseudo-Apollonius of Rhodes’ Argonautica, Ovid’s Metamorphoses, as well as in Virgil’s Aeneid. In each text, she uses her magic and her beauty to transform her victims into beasts, taking away their free will, their virility and their humanity. Odysseus avoids the same fate thanks to Mercury’s intervention, confronts Circe, and frees his men from their porcine appearance.

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Leon Krause über Mela Escherich (1877–1956) und die Mystik Jawlenskys

„Ueber Zweck, Notwendigkeit, Naturwahrheit, mit einem Worte über das Wesen der Kunst werden die Meinungen ewig gegeneinander stehen, solange wir uns nicht eingehender mit dem Wesen der Natur beschäftigen. Nicht der uns umgebenden, sondern unsrer eignen“, so zumindest formuliert es die deutsche Kunsthistorikerin Mela Escherich in ihrem Artikel Kunst als Offenbarung der Natur (Mela Escherich: Kunst als Offenbarung der Natur, in: Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaften, Heft 3, München 1903, S. 270-274, 308–318, hier: S. 270, https://doi.org/10.11588/diglit.47725.61). Vor dem Hintergrund einer solchen Betonung der eigenen Gefühlswelt, die bis hin zu einer Überhöhung ins Mystische reicht, sollte es nicht verwundern, dass sie den Expressionismus als eine persönliche Erleuchtung empfand. Besonders das Werk des russisch-deutschen Malers Alexej von Jawlensky (1864–1941) spielt dabei eine wichtige Rolle. Escherich und Jawlensky verband, wie wir später sehen werden, eine Freundschaft, die weit über die bloße gegenseitige Anerkennung hinausging.

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Anspielungen/Aneignungen: Dominik Brabant über Musikvideos und Kunstgeschichte

Musikvideos zählen für gewöhnlich nicht zu den etablierten Forschungsgegenständen der Kunstgeschichte. Ähnlich wie die Fotografie, die bekanntlich bis weit in das zwanzigste Jahrhundert für die Kunstgeschichte als Forschungsobjekt kaum zur Debatte stand, galten Musikvideos bis vor kurzem für eine vertiefte Auseinandersetzung als wenig geeignet: allzu populär, allzu kommerziell und in der Regel ästhetisch anspruchslos. Dementsprechend ist die kunsthistorische Forschungsliteratur bis heute überschaubar.  Ausstellungen zu Musikvideos in der Völklinger Hütte (>>) vor zwei Jahren oder im Kölner Museum für angewandte Kunst im Jahr 2011 haben jedoch erlaubt, die Kreativität und audiovisuelle Intelligenz dieser Artefakte in den Blick zu nehmen. Anlässlich einer von Henry Keazor organisierten Sektion auf dem Kunsthistorikertag von 2013 in Greifswald hat der Kunsthistoriker Matthias Weiß in einem Interview auf www.portalkunstgeschichte.de daran erinnert, dass sich diese Gattung unter anderem aus der Visuellen Musik der 1920er und 1930er Jahren heraus entwickelt hat (>>).  

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Travelling Back: Eine erneute Betrachtung der (Wissens-)Transfers zwischen München und Brasilien im 19. Jh.

SABRINA MOURA

>> Eine englische Übersetzung des Beitrags ist auf dem Blog des Käte Hamburger Forschungszentrums global dis:connect veröffentlicht. >>

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Good bad taste. Marlene Sauer über John Waters und die Grenzen des guten Geschmacks

Zur Retrospektive John Waters: Pope of Trash im Academy Museum of Motion Pictures in Los Angeles

John Waters – der Regisseur, Künstler, Autor und allen voran künstlerischer Pionier und Grenzgänger mit dem markanten Oberlippenbart – gilt als eine Kult-Persönlichkeit des amerikanischen Indie-Films. Er schockierte mit seiner filmischen „Trash Trilogy“ – Pink Flamingos (1972), Female Trouble (1974) und Desperate Living (1977) –, feierte aber auch kommerzielle Erfolge mit Filmen wie Hairspray (1988), der später zum Broadway Musical adaptiert wurde, und Cry Baby (1990).

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Ein Blick in das Archiv Böhler: Katharina Roßmy über einen Wandteppich aus Berlin, eine Puppenmacherin aus Hollywood und eine Gastronomen-Familie aus Breslau

Was auf den ersten Blick wie eine normale Kommissionskarte mit unverfänglichen Provenienzangaben aussieht, verbindet letztlich einen Berliner Wandteppich mit einer Puppenmacherin aus Hollywood und einer Gastronomen-Familie aus Breslau. Ausgehend von einer Tapisserie richtet sich das Spotlight auf die Schicksale der jüdischen Kunstsammlerin Johanna Ploschitzki / Hansi Share und der jüdischen Familie Kempinski.

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Hannah Rathschlag über die Künstlerin und Literatin Mary Eliza Haweis (1848–1898) und (guten) Kunstgeschmack im Viktorianischen Zeitalter in England

„Every style has a beauty and interest of its own; […] is worthy attention, and is sure to teach us something”. Diese Aussage formulierte Mary Eliza Haweis in dem Vorwort ihres Buches Beautiful Houses. Being a Description of certain well-known Artistic Houses (1882), wodurch ihre reflektierte und präzise Beobachtungsgabe widergespiegelt wird.

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Die MAIA-Bibliotheken stellen sich vor

Viktoria Räuchle über die Bibliothek des Instituts für Klassische Archäologie an der LMU und ihre Wohltäter |

Das wohl bekannteste Vermächtnis von James Loeb im altertumswissenschaftlichen Bereich stellt die im Jahr 1911 gegründete und bis heute laufende Editionsreihe Loeb Classical Library (LCL) dar, die Werke griechischer und lateinischer Autoren im Original mit englischer Übersetzung herausgibt. Unsere Bibliothek schmückt sich mit einer veritablen Sammlung von Erstausgaben der LCL-Reihe, zahlreiche von ihnen wurden unserem Institut von James Loeb persönlich geschenkt. Auf das Exlibris des Seminars, das die Göttin der Weisheit Athena mit einer Schreibtafel zeigt, wurde in diesen Fällen ein kleines Etikett in Form einer „Tabula ansata“ geklebt, welches den Band als Geschenk des Philantropen auszeichnet (Abb. 3).

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Die MAIA-Bibliotheken stellen sich vor

Viktoria Räuchle über die Bibliothek des Instituts für Klassische Archäologie an der LMU und ihre Wohltäter |

Die Bibliothek des Instituts für Klassische Archäologie (LMU) ist ebenso wie die Bibliothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte (ZI) sowie des Instituts für Ägyptologie und Koptologie, die sich gemeinsam mit den Bibliotheken des Bayerischen Nationalmuseums und des Museums fünf Kontinente zum MAIA-Verbund zusammengeschlossen haben, im Haus der Kulturinstitute untergebracht. Das ursprünglich als Parteizentrale der NSDAP dienende Gebäude war zwischen 1933 und 1936 auf dem Gelände des kurz zuvor abgerissenen Palais Pringsheim errichtet worden, das dem jüdischen Mathematiker Alfred Pringsheim und seiner Frau Hedwig, den Schwiegereltern Thomas Manns, gehört hatte. Nach dem Kriege richtete die US-amerikanische Militärregierung hier den „Central Art Collecting Point“ für die Rückführung der von den Nazis erbeuteten Kunstwerke ein, aus dem bereits 1946 das ZI hervorgehen sollte. Betritt man heute den großen Lichthof mit seinen roten Bodenplatten aus Saalburger Marmor und den monumentalen Pfeilern aus Solnhofener Platten, steht man in einem Wald von Abgüssen antiker Skulpturen, die zum Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke (MFA) gehören. Das MFA ging aus der Lehrsammlung des Instituts für Klassische Archäologie hervor, dessen in den Kriegswirren auf gerade einmal zwölf Objekte dezimierter Bestand bereits 1949 hier untergebracht wurde. Inzwischen gehört die Sammlung mit ihren rund 2.000 Abgüssen wieder zu den größten Museen dieser Art in Deutschland. Die strahlend weißen Gipse können (und sollen) die dunkle Vergangenheit des Bauwerkes freilich nicht übertünchen, stehen aber dennoch emblematisch für die Nutzung des Baus in der Gegenwart.

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Sarah Debatin über Helen Zimmern (1846–1934), Nietzsches englische Freundin

„Komisch! Man hat gut sich wehren gegen Frauen-Emancipation: schon ist wieder ein Musterexemplar eines Litteratur-Weibchens bei mir angelangt, Miss Helen Zimmern,“ schreibt der bekennende Frauenfeind Friedrich Nietzsche 1886 aus Sils Maria an seinen ebenfalls schriftstellerisch tätigen, langjährigen Freund Peter Gast (eigentlich Heinrich Köselitz, 1854–1918). (Mario Leis: Frauen um Nietzsche, Hamburg 2000, S. 100) Neun Wochen verbringen Nietzsche und Zimmern als Tischnachbarn und auf Spaziergängen in regem Austausch, und auch in späteren Jahren treffen sie in dem Schweizer Kurort immer wieder aufeinander. Auf Nietzsches dringenden Wunsch hin ist Helen Zimmern auch diejenige, die, zunächst zögerlich, zwei seiner Werke ins Englische übersetzt und ihm so zu größerer Bekanntheit in Großbritannien verhilft. Über sein Verhalten gegenüber Frauen schreibt sie später im Rückblick: „Es gibt anscheinend Männer, die über die Frauen Theorien haben, die sie kaum in die Praxis übersetzen.“ (ebd.)

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„Berg des visuellen Vergnügens“ – Lisa Beißwanger zu Juliane Rohs vergessenem Kunstprojekt für Olympia 1972

Die Olympischen Spiele in München 1972 waren nicht nur ein Sportereignis, sondern boten auch ein buntes Kunst- und Kulturprogramm. In Erinnerung blieb vor allem die sogenannte Spielstraße, ein Programm mit Darbietungen von Künstler*innen und Artist*innen auf dem Olympiagelände, das nach dem Attentat auf die israelische Olympiamannschaft ein jähes Ende fand – während die Spiele fortgesetzt wurden. Weniger bekannt ist, dass ursprünglich ein sehr viel umfassenderes Kunstprogramm geplant war. Unter den gescheiterten Projekten ist zum Beispiel eine spektakuläre „Olympische Erdskulptur“ von Walter de Maria, die sich 120 Meter tief in den Schuttberg auf dem Oberwiesenfeld bohren sollte. In Kunstkreisen genießt dieses Vorhaben heute Legendenstatus. Gänzlich vergessen hingegen scheint ein ambitioniertes Ausstellungskonzept der Kunsthistorikerin und -journalistin Juliane Roh. Sie plante, eben jenen Schuttberg in einen „Berg des visuellen Vergnügens“ zu verwandeln. Dokumente aus dem Roh-Nachlass im Deutschen Kunstarchiv in Nürnberg erlauben Einblicke in das Projekt und in die Umstände seines Scheiterns (Abb. 1).

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Die MAIA-Bibliotheken stellen sich vor

Elisabeth Moselage über die Bibliothek des Bayerischen Nationalmuseums und die Klarissenchronik |

Das Bayerische Nationalmuseum (BNM), das „Schatzhaus an der Eisbachwelle“, ist eines der großen deutschen Museen zur Bildenden Kunst und zur Kulturgeschichte.

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Die MAIA-Bibliotheken stellen sich vor

Alexander Schütze über die Bibliothek des Institutes für Ägyptologie und Koptologie an der LMU und Lepsius’ Denkmaeler aus Aegypten und Aethiopien |

Die Bibliothek des Institutes für Ägyptologie, die sich im 2. Stock des Hauses der Kulturinstitute am Königsplatz befindet, umfasst rund 17 000 Bände zu nahezu allen Bereichen der Philologie, Archäologie und Kunstgeschichte des Alten Ägypten, darüber hinaus größere Bestände zur Koptologie und Sudanarchäologie. Sie beinhaltet neben Monografien, Kongressbänden und Zeitschriften (davon 58 als laufende Abonnements) auch zahlreiche Ausstellungs- und Bestandskataloge ägyptischer Museen und Sammlungen. Der Bestand der Bibliothek umfasst sowohl ältere Werke als auch die neueste Fachliteratur: Die zahlreichen Bände des Catalogue général des antiquités égyptiennes du Musée du Caire (1901– ) finden sich hier genauso wie Kenneth A. Kitchens Ramesside Inscriptions (1975– ) oder die Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts Abteilung Kairo (1930– ). Jedes Jahr kommen ca. 300 Titel hinzu, die u.a. aufgrund der großzügigen Unterstützung des Fördervereins des Institutes, des Collegium Aegyptium und der Carl Friedrich von Siemens Stiftung erworben werden können.

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Sonja Nakagawa: MAIA liefert!

Maja – das ist die abenteuerlustige Biene aus der Feder Waldemar Bonsels. Maia – so hieß die Amme des Tutanchamun und ein altägyptischer Schatzhausvorsteher. Maia – das ist eine arkadische Nymphe, Geliebte des Zeus, die Mutter von Hermes. Durch Zeus an den Sternenhimmel versetzt, findet sich Maia im familiären Verbund mit Atlas und Pleione sowie sechs ihrer Schwestern in der Gruppe der Plejaden im Sternenbild des Stiers.

Der Forschungs- und Bibliotheksverbund MAIA | Munich. Artefacts, Images, Architecture. Research and Resources wiederum, ein Gemeinschaftsprojekt des Bayerischen Nationalmuseums, der Institute für Klassische Archäologie, Ägyptologie und Koptologie der LMU München, des Museums Fünf Kontinente und des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, möchte sowohl den Wissenschaftsaustausch als auch die Münchener Wissenschaftsinfrastruktur fördern und wie die Himmelskörper in einem Sternenbild vernetzen. Mit MAIA sind für Forschende nun weit über 1 000 000 Bücher recherchierbar und stehen an allen diesen Standorten zur Verfügung.

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Kunsthandelsquellen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte ermöglichen Restitutionen an die Nachfahren des Antiquars Jacques Rosenthal

Franziska Eschenbach

Für die Provenienzforschung ist schon lange klar: Auktionskataloge bieten wichtige Hinweise, um die Herkunft eines Objekts zu klären. Neben präzisen Angaben zum Werk finden sich nicht selten auch Abbildungen oder Informationen zur Provenienz. Annotierte Auktionskataloge können sogar durch die Angaben von Zuschlagpreisen, den Namen des Einlieferers und Verkäufers den gesamten Verkaufsprozess offenlegen und so manches Rätsel um die Provenienz des Werks lösen.

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„It is as though time were telescoped.“ Krista Profanter über La Monte Youngs Trio for Strings (1958)

Herzog Franz von Bayern zum 90. Geburtstag

Unter der Signatur D2-You 406/35 R wird im Rara-Magazin der Bibliothek des ZI ein seltenes Exemplar von La Monte Youngs 1958 komponiertem Trio for Strings (Abb. 1) verwahrt, das heute als ein zentrales Werk der Minimal Music gilt.

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Ulrike Keuper zu den „unschuldigen Betrügereien“ des Bernard Picart

Bei Druckgrafik nach Handzeichnungen galt in der Regel alle Aufmerksamkeit den abgebildeten Zeichnungen, während deren Reproduktion selbst und somit die Kunstfertigkeit der Stecher*innen nicht wahrnehmbar sein sollten. Das 1734 postum in Amsterdam erschienene Mappenwerk „Impostures innocentes“ („Unschuldige Betrügereien“ oder: „Täuschungen“) des aus Paris stammenden Radierers Bernard Picart (1673–1733) (Abb. 1) bildet eine bemerkenswerte Ausnahme hiervon. Hinter dem, wie es im Titel weiter heißt, „Recueil d’estampes d’apres divers peintres illustres, tels que Rafael, Le Guide, Carlo Maratti, Le Poussin, Rembrandt, &c.“, verbirgt sich ein raffiniert konstruierter Œuvrekatalog, der vor allem die Lebensleistung Picarts als Zeichner, Reproduktionsstecher und Kenner in den Mittelpunkt rückt – und zugleich eine Apologie des „modernen“ Reproduktionsstichs in Wort und Bild vorlegt.

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Anna-Lena Lang über das tragische Ende der Kunst- und Antiquitätenhandlung H. Bauml

Die Karteikarten der Kunsthandlung Julius Böhler verraten nicht nur viel über den deutschen und europäischen Kunsthandel des 20. Jahrhunderts. Manchmal geben sie auch einen Einblick in die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zur Zeit ihrer Erstellung und machen dadurch neben wirtschaftlichen Fakten auch persönliche Schicksale sichtbar.

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Theresa Sepp über eine Diplomatensammlung und koloniale Kontexte

Im Zentrum der Erforschung des Archivs der Kunsthandlung Julius Böhler steht die Klärung von Provenienzen im Hinblick auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut. Doch öffnen sich im Rahmen der Erschließung des Karteiensystems auch Perspektiven auf andere Kontexte der Translokation, des Handels und auch Raubes von Kulturgütern.

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Sarah Debatin über Luise von Kobell

Vielen schreibenden Frauen des 19. Jahrhunderts blieb fachliche und gesellschaftliche Anerkennung zeitlebens versagt. Eine rühmliche Ausnahme ist die Münchner Schriftstellerin Luise von Eisenhart (1828–1901), die unter ihrem Geburtsnamen Luise von Kobell nicht nur Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften wie die Allgemeine Zeitung, Über Land und Meer und die Fliegenden Blätter, sondern auch monographische Schriften zu kunst-, literatur- und kulturhistorischen Themen verfasste. Sie entstammte der bekannten Künstler- und Beamtenfamilie Kobell und genoss eine hervorragende Ausbildung für eine Frau ihrer Zeit. Im Gefolge König Ottos verbrachten Luise und ihre Eltern 1834 ein Jahr in Griechenland. Luises Vater, Franz von Kobell (1803–1882), war u.a. Schriftsteller und als Geologe Mitarbeiter und ab 1880 Leiter der Mineralogischen Staatssammlung. Ihre Heirat mit August von Eisenhart (1826–1905), einem Juristen, der schnell die politische Karriereleiter erklomm und Kabinettssekretär König Ludwigs II. wurde, festigte ihren Status. Bezeichnenderweise begann Luise von Kobell mit dem Schreiben erst, nachdem die Kinder erwachsen waren und ihr Mann sich aus seinen öffentlichen Ämtern zurückgezogen hatte.

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Alexandra Avrutina über Emilie Bach: zwischen Anpassung und Grenzüberschreitung

„Nun aber gehen die Verirrungen gegen das Stylrichtige und Vernünftige weiter. Nicht genug damit, dass sich Frauen der Täuschung hingeben, Zeichnerinnen und Malerinnen zu sein, sind sie mitunter so kühn und unternehmend und möchten so nebenbei auch ‚Bildhauer‘ sein“ (Emilie Bach: Die weibliche Handarbeit. Vortrag … gehalten in Reichenberg am 22. September 1880, Reichenberg 1880, S. 15).

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Theresa Sepp über „Schöner Wohnen“ am Prinzregentenplatz

Das Karteiensystem der Kunsthandlung Julius Böhler war nicht dafür gedacht, für Außenstehende auf Anhieb verständlich zu sein. Üblicherweise dokumentieren die Karteikarten jedenfalls neben Ein- und Ausgangsdatum eines Objektes, An- und Verkaufspreisen sowie Angaben zu Vorprovenienzen oder dem Erhaltungszustand die Namen von Vor- und Nachbesitzer*innen. Manchmal jedoch kommt es vor, dass stattdessen unspezifische – möglicherweise absichtlich nebulöse – Angaben wie „von einem Tändler in Wien“ (auf Karteikarte M_38-0288) oder „hinterm Hotel in Venedig“ (auf Karteikarte M_06-1206) zu finden sind.

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Ricarda Vollmer über Maria Callcott und Herausforderungen an die Kunstgeschichte

Wie verändert sich die Kunstgeschichte, wenn die frühen Schriften von Kunsthistorikerinnen stärker rezipiert würden? Diese Frage stellten sich K. Lee Chichester und Brigitte Sölch in ihrer Anthologie Kunsthistorikerinnen. 1910–1980 (Berlin 2021, S. 34). Und weiter heißt es: „Nur indem vergessene Akteurinnen […] adressiert werden, lässt sich ein tiefergehendes und polyperspektivisches Verständnis für die Geschichte und Gegenwart der Disziplin wie auch der Künste gewinnen“ (ebd.). Ebensolche vergessenen Akteurinnen der Disziplin und ihre Schriften möchte eine Forschungsdatenbank, die in Zusammenarbeit mit der Universitäts-bibliothek Heidelberg und dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte entstanden ist, sichtbar machen.

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Ann-Kathrin Fischer über die schreibenden Töchter der Familie Patin

Mit aufmerksam-interessiertem Blick wendet sich die achtzehnjährige Carla Caterina (1666–1744) ihrem Vater Charles Patin (1633–1693) im Gespräch zu. Daneben sitzt ihre Mutter Madeleine (1642–1722), selbst Schriftstellerin, die in der linken Hand ein Medaillonbildnis ihres Schwiegervaters Guy Patin hält. Rechts davon ist die ältere, neunzehnjährige Schwester Gabriella Carla (1665–1751) platziert. Noël Jouvenet (1650–1698) hat dieses Familienbildnis 1684 gemalt. Heute verschollen, ist das Gemälde durch einen Stich des Joseph Juster (um 1690 in Venedig tätig) überliefert (Abb. 1), der 1691 in dem aufwendig illustrierten Folioband Tabellae selectae ac explicatae bzw. Pitture scelte e dichiarate von Carla Caterina Patina publiziert wurde. Die Druckgrafik stellt zugleich das einzig dokumentierte Porträt der Autorin dar.

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Russische Creme am Friedensengel: Der Central Collecting Point bei Johannes Mario Simmel

IRIS LAUTERBACH

1960 erschien in Zürich der Roman Es muß nicht immer Kaviar sein des österreichischen Schriftstellers Johannes Mario Simmel (1924–2009). Der Untertitel „Die tolldreisten Abenteuer und auserlesenen Kochrezepte des Geheimagenten wider Willen Thomas Lieven“ spielt auf Honoré de Balzacs Contes drôlatiques an und weckt bei der Leserin, beim Leser die Erwartung anzüglicher Schilderungen unterhaltsamer Liebesabenteuer. In der Tat ist dieser moderne Schelmenroman nicht nur pikaresk, sondern auch pikant. Denn nicht minder virtuos als die Liebeskunst beherrscht der Protagonist Thomas Lieven die Kochkunst. Seine Erfolgsrezepte – von Aal in Salbei bis Zitronen-Soufflé – sind über das Buch verteilt. Als „Geheimagent wider Willen“ gelingt es Lieven, während des Krieges und in der Nachkriegszeit das Leben nach seinem Geschmack zu genießen.

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Annalena Brandt über Kunst für Alle… aber nicht von allen

Nachdem es zu Beginn des 20. Jahrhunderts so aussah, als ob schreibende Frauen in der Kunstwelt endlich (wenigstens etwas) anerkannt wurden, mussten ab 1907 zumindest in der Kunstzeitschrift Kunst für Alle (KfA) erhebliche Rückschläge hingenommen werden. Waren ab dem 2. Jahrgang 1887/88 insgesamt 14 Schriftstellerinnen mit mehr als 60 Artikeln vertreten, lässt sich nach dem 23. Jahrgang ein schlagartiger Rückgang feststellen. 1907/08 war erstmals seit 20 Jahren kein einziger Artikel einer Frau zu lesen, in den folgenden Jahren sah es kaum besser aus: 1908/09 durfte die davor rege tätige Clara Ruge (1856–1937) eine Spalte über die Kunstausstellung in New York schreiben, 1909/10 Frida Erdmute Vogel (1876–?) einen Artikel zum schwedischen Künstler Bruno Liljefors (1860–1939). Bis 1924/25 waren nur vier weitere Kunsthistorikerinnen mit je einem Artikel vertreten: Anna Spier (1852–1933) 1914/15, Dr. Hildegard Heyne (1878–1964) 1915/16, Dr. Frida Schottmüller (1872–1936) 1916/17 und Dr. Betty Kurth (1878–1948) 1924/25. Dafür durfte Mina Gedon über die Entstehung ihres Porträts von Wilhelm Leibl anekdotisch sinnieren (40. Jg. [1924/25], S. 97–99). Diese Tendenz lässt sich in anderen Zeitschriften nicht beobachten. Im Gegenteil: Druckte die Kunst für Alle von 1885 bis 1906 drei bis 30 Mal mehr Artikel von Frauen als andere Zeitungen und Zeitschriften, war sie in den Jahren 1907 bis 1924/25 mit sieben Texten im Vergleich zu Kunstchronik (31, seit 1918 Kunstchronik und Kunstmarkt), Deutsche Kunst und Dekoration (31) und Kunst und Handwerk (10) Schlusslicht.

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Eine kleine Technikgeschichte des ZI

EVA BLÜML

„Das ZM verfügt über einen großen Leitz Projektor und einen Leitz-Parvo11-Bildwerfer für Kleinformate. Die Anschaffung eines Lesegerätes für Mikrofilm ist vorgesehen“ [Jahresbericht ZI 1949-50, S. 8]. Technik ist schon seit der Gründung des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, damals noch ZM, ein Thema: so bedienten sich die Kunsthistoriker*innen am ZM aktueller Technologien, um die Grundlagen für eine zeitgemäße kunsthistorische Forschung zu schaffen, ihre Objekte möglichst handhabbar zu machen und allerlei Dokumente zukunftssicher zu archivieren.

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Hanna Lehner zu Félicie d’Ayzac: Eine Frau auf dem Dach von Saint-Denis

Drinnen wirkt es beengt, es ist dunkel (Abb. 1). Die Wiege zu Füßen, der Rosenkranz in der Hand und die Marienstatue an der Wand signalisieren den konventionell begründeten ‚Zuständigkeitsbereich‘ der sitzenden jungen Frau, die sehnsüchtig durch das Fenster nach draußen blickt. Dort hingegen ist alles licht und luftig, in der Ferne zeichnet sich angeschnitten die Silhouette der Kathedrale von Saint-Denis ab. Eine starke Böe bringt aber auch Bewegung ins Zimmer und bläht sogar die schweren Vorhänge auf. Die Lithographie erschien 1833 in dem Gedichtband Soupirs poétiques (Poetische Seufzer), bei der Dargestellten handelt es sich um die Verfasserin Félicie d’Ayzac. Sie wird aufstehen und nach draußen gehen.

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„…aus dem Aluminium ihrer Todesflügel hätte man die Kochtöpfe herstellen können…“ Ursula Ströbele über Juliane Roh zwischen Kunstgeschichte und politisch-feministischem Engagement

Teil 2

Juliane Roh (Abb. 3) prangert in ihren Texten wiederholt die Zwangsrekrutierung der Frauen während des Krieges an, die „zum Arbeitssklaven männlich militärischer Interessen“ erniedrigt wurden bei gleichzeitiger Instrumentalisierung im Zuge der nationalsozialistischen Fortpflanzungspolitik. „Alles, was ihr der Gleichberechtigungskampf mühsam erworben hatte […], hat ihr der Staat wieder genommen.“ (Der Krieg und die Frauen, 2) Aus Selbstschutz habe sich die Frau auf ihre Rolle der Ehefrau und Mutter zurückgezogen bzw. habe versucht, männliche Eigenschaften zu adaptieren. Weshalb sie fordert: „Es kommt heute also darauf an, dass wir die weibliche Emanzipation vollenden, indem wir sie an ihren Ursprung zurückführen. […] das bedeutet zu den Müttern. Wir müssen heute den einzigen Typ der Frau, der noch nicht emanzipiert ist, zu befreien trachten, den mütterlichen.“ (Die Frau der Zukunft, 13).

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„…aus dem Aluminium ihrer Todesflügel hätte man die Kochtöpfe herstellen können…“ Ursula Ströbele über Juliane Roh zwischen Kunstgeschichte und politisch-feministischem Engagement

Teil 1

Seit 2015 bzw. 2016 vergibt das Zentralinstitut für Kunstgeschichte jährlich zwei Juliane und Franz Roh-Stipendien am Studienzentrum zur Kunst der Moderne und Gegenwart für Promovierende und Postdoktorand*innen. Seinen Namen verdankt das Stipendium dem Ehepaar Roh, die beide in München lebten. Franz Roh (1890 Apolda–1965 München) war als Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Künstler tätig, promovierte 1920 bei Heinrich Wölfflin und publizierte zu unterschiedlichen Themen vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. 1946 heiratete er Juliane Bartsch (1909 Duisburg–1987 München), die in Heidelberg Kunstgeschichte, Philosophie und Archäologie bei August Grisebach, Karl Jaspers und Arnold von Salis studierte und dort 1934 promoviert wurde (Figur und Landschaft: eine Untersuchung ihrer Beziehungsformen im italienischen Kunstbereich des 16. und 17. Jahrhunderts). Die beiden ersten und kommenden Blogtexte möchten einen Einblick in ihre kunsthistorische Tätigkeit geben (Abb. 1), zur Frau als Bildender Künstlerin und explizit zu den Bildhauerinnen des 20. Jahrhunderts sowie hier vorliegend in ihr schriftstellerisch-politisches Engagement. Ein besonderer Dank gilt Richard Hampe, der den Nachlass verwaltet und bei der Sichtung der Archivunterlagen große Unterstützung leistete. Die meisten Datierungen der hier genannten Texte und deren etwaige Publikationsorgane sind bislang unbekannt; weitere Recherchen erfolgen in diesem work in progress.

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Hannah Goetze über Clara Erskine Clement Waters und (digitale) Nachschlagewerke gegen das Vergessen

Beim Sichten der Publikationen von Clara Erskine Clement Waters fällt ihre Vorliebe für das Handbuch und das Lexikalische auf: Neben dem Handbook of Legendary and Mythological Art (1871; im Folgenden abgekürzt als HLMA) finden sich unter anderem Painters, Sculptors, Architects, Engravers, and their Works (1874), Artists of the Nineteenth Century and their Works (1879), die dreibändigen Hand-Books of Painting, Sculpture, and Architecture (1883–86) sowie Women in the Fine Arts, from the Seventh Century B.C. to the Twentieth Century A.D. (1904) unter ihren Werken. Auch wenn die enzyklopädische Form ihre Schriften eint, verneint sie einen Anspruch auf nachschlagbare Vollständigkeit oft bereits in der Einführung: „My present limits allow but an imperfect and superficial consideration of this subject“ (HLMA, S. 1; zitiert wird nach der 14. Auflage, Boston 1881). Zu Erskine Clement Waters selbst etwas zu finden, ist dann passenderweise abermals nur über Handbucheinträge möglich, die sich auf konkrete Eckdaten ihres Lebens konzentrieren (Geburt: 1834; Tod: 1916; Heirat: 1852, mit James Hazen Clement; erneute Heirat, nach dessen Tod: 1881, diesmal mit Edwin Forbes Waters), aber jenseits der Nennung der Vielzahl ihrer Publikationen (neben den oben genannten u.a. noch ein Roman, später auch Reiseberichte) kaum auf ihr Werk eingehen.

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Kartoffelsalat, Braten, Eier in Aspik: Feiern im Collecting Point

IRIS LAUTERBACH

Fotografische Schnappschüsse ergänzen die archivalische, schriftliche Überlieferung zum Central Collecting Point (CCP), der Kunstsammelstelle der amerikanischen Militärregierung, die nach 1945 im ehemaligen „Verwaltungsbau der NSDAP“ am Königsplatz eingerichtet wurde. Sie vermitteln einen Eindruck davon, wie sich am Collecting Point eine internationale Community im belasteten politischen Kontext auf gleichsam exterritorialem Gebiet arrangierte. Es wurde nicht nur gearbeitet, sondern auch gefeiert, gelacht, geflirtet, gegessen, getrunken und – aus heutiger Sicht auffallend viel – geraucht (Abb. 1-3). Informelle Begegnungen und Gespräche auf den Partys am Collecting Point trugen sicherlich auf die eine oder andere Weise zu Restitutionsentscheidungen bei, ohne dass wir dies heute im Einzelnen belegen könnten.

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Schöner Schluss

WOLFGANG AUGUSTYN

Das Problem ist bekannt, es betrifft Musik und Literatur. Es ist ein grundsätzliches Problem jeglicher Komposition, auch in den Bildenden Künsten. Wie soll man anfangen? Vor allem aber: Wie aufhören? Man kann die Antwort auf diese Frage ans Publikum delegieren wie Bertolt Brecht in seinem Parabelstück Der gute Mensch von Sezuan, an dessen Ende man selbst den Ausgang des Geschehens suchen soll:

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Vom Stiefelschritt zur Disco: Feiern im „Verwaltungsbau“

IRIS LAUTERBACH

1937 fand im nördlichen Lichthof des „Verwaltungsbaus der NSDAP“, der im Februar des Jahres bezogen worden war, die erste Weihnachtsfeier statt (Abb. 1). Im Lichthof und in den Galerien standen in Reih und Glied uniformierte und zivile Mitarbeiter*innen des Reichsschatzmeisters Franz Xaver Schwarz (1875–1947). Uniformierte patrouillierten in den Galerien, wo die festlich gekleideten Angestellten brav aufgereiht warteten.

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Longue Durée: 75 Jahre ZI

PHILIP URSPRUNG

Zum ersten Mal hörte ich in den 1980er Jahren vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Ich studierte damals Kunstgeschichte in Genf. In München, so schwärmte einer unserer Professoren, befände sich quasi die Zentralbank unserer Disziplin. Dort würde am ambitioniertesten Lexikon des Fachs gearbeitet, dort erschiene die Kunstchronik und vor allem, dort stünde eine riesige Bibliothek, in der einfach alles zu finden sei, was im Bereich der Kunstgeschichte erschienen war. „Alles?“ „Alles!“

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Shifting Perspectives: Kristen Gonzalez on Jacobus Vrel at the Alte Pinakothek

Jacobus Vrel, a Northern European painter of the seventeenth century, remains elusive despite scholars’ intensive efforts to determine his identity and whereabouts. Such anonymity further inhibits any reasonable attempt to construct a narrative for the figures in his works. These figures inhabit his sparse interiors and walk with purpose through the streets of an indiscernible town, but they appear introverted and preoccupied in a world often described as quiet and unspectacular. Despite this, or perhaps due to this mystery, his paintings captivate our curiosity.

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Ursula Ströbele zu pandemischen Tierbildern in den digitalen Medien. „Mother Earth is Rebooting“

Zwei Wildschweine streifen hintereinander über eine leere Straße und beschnüffeln den Boden des Asphalts, nur umgeben von parkenden Autos und einer einzelnen Person im Hintergrund. Die Bildunterschrift klärt darüber auf, dass es sich um eine Szene inmitten eines Wohngebiets in Haifa handelt, datiert auf den 16. April 2020 (Abb. 1).

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Christine Tauber über Aimé-Jules Dalous „Femme forte“ auf der Place de la Nation

PARISER TROUVAILLE NR. 8

Wer heutzutage zur Pariser Place de la Nation strebt, tut dies zumeist, um möglichst schnell in die Métro oder in die RER zu kommen. Kunsthistorische Exkursionsgruppen widmen ihre Aufmerksamkeit höchstens dem Ensemble von Claude Nicolas Ledoux’ Zollhäusern, den Barrières du Trône mit ihren beiden Triumphsäulen, als herausragendem Beispiel für die (anachronistisch so genannte) Revolutionsarchitektur aus den späten 1780er Jahren. Dem Denkmal auf der Platzmitte schenkt kaum jemand einen Blick.

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Birgit Jooss über ein Butterbrot für die Neue Pinakothek

Ein goldgerahmtes Gemälde mit dem lapidaren Titel Butterbrot erreichte am 30.7.1929 aus Berlin die renommierte, 1880 gegründete Münchner Kunsthandlung Julius Böhler. Der niederländische Maler Pieter de Hooch (hier: Hoogh, 1629 – um 1679) wird als Maler des Butterbrots genannt, Baron Thyssen (1875 – 1947) als Besitzer. Insider des Böhler’schen Karteiensystems erkennen, dass die rosa Farbe der Karte und die Ziffer 177 29 auf ein Kommissionsgeschäft hinweisen. Rückseitig erfährt man, dass das Bild am 12.6.1930 in der Neuen Pinakothek „abgeliefert“ wurde.

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Franziska Eschenbach zu Emma Rosenthals (1857—1941) Wahrnehmung des „Münchner Abkommens“ 1938

Die Briefe Emma Rosenthals aus dem Firmen- und Familiennachlass Rosenthal im Stadtarchiv München sind nicht nur eine wichtige Quelle für das Forschungsprojekt zur Rekonstruktion der privaten Kunstsammlung der Familie Rosenthal und zur Suche nach ihrem Verbleib am Zentralinstitut für Kunstgeschichte, sondern sie bilden in ihrer Fülle auch ein wichtiges zeithistorisches Zeugnis für das jüdische Leben während der NS-Zeit in München. Hier sollen die Briefe Emma Rosenthals vorgestellt werden, die in den Tagen des Münchner Abkommens entstanden sind.

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Marta Koscielniak über das Vorher-nach?her des Rubens-Gemäldes „Helene Fourment mit ihrem erstgeborenen Sohn Frans“ aus der Alten Pinakothek im Bildarchiv Bruckmann

Die Reproduktionsfotografien des Bruckmann Bildarchivs halten historische Zustände von Kunstwerken fest, die teilweise auffallend von dem abweichen, wie wir diese Werke heute kennen. Ein besonders spektakuläres Beispiel zeigt sich in Rubens’ Bildnis seiner zweiten Ehefrau Helene Fourment mit dem gemeinsamen Sohn Frans aus der Alten Pinakothek in München.

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Christine Tauber über Paul Delaroches Parnass in der Ecole des Beaux-Arts

PARISER TROUVAILLE NR. 7

Das Allerheiligste der Pariser Ecole des Beaux-Arts ist, wie bei Allerheiligsten üblich, nicht frei zugänglich: Handelt es sich doch bei der zwischen 1837 und 1841 von Paul Delaroche ausgemalten Salle d’honneur nicht nur um den Prüfungssaal der Kunsthochschule, sondern auch um den Ort, an dem die jährliche Preisverleihung des prix d’honneur stattfand.

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Andrew Hopkins on Perennial Pop-Ups: Al fresco Dining in Munich

An alpha automobile city, saturated with parked cars, Munich has been transformed during the pandemic, at least in part, by the sudden appearance of pop-up al fresco dining shacks constructed in the road and displacing at least some of those seemingly permanently parked cars. For cyclists, it has been a joy to behold and runs no risk of a suddenly opening door when passing by. Yet how did this phenomenon manage to appear ‘overnight’ given that gastronomy is one of the most regulated of industries and Munich one of the most regulated cities?

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Hannah Goetze über Reisen nach Neapel, mit Büchern im Kopf und in der Hand

Zu viele Italienreiseführer, -reisende und -berichte gab es wohl schon immer; schon 1791 gar so viele, dass Thomas Martyn sich beim Verfassen des seinigen zu einer initialen Rechtfertigung gedrängt fühlt, warum es denn eines weiteren überhaupt bedürfe: „It will naturally be asked, why we have more travels into Italy, when we have had too many already?“ (Thomas Martyn: A Tour through Italy. …, London 1791, S. iii).

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Franziska Lampe über die Sehnsucht nach Farbe und eine Bruckmann-Fotokampagne am Vesuv

Anfang des 20. Jahrhunderts veranlasste der Bruckmann Verlag eine Fotokampagne in den antiken Städten Pompeji, Herculaneum und Stabiae, um dort die erhaltenen Wandmalereien im fotografischen Bild festzuhalten. Konkreter Anlass hierfür waren die von Paul Herrmann ab 1904 veröffentlichten Denkmäler der Malerei des Altertums, in denen Reproduktionen der antiken Bildwerke nebst knapper wissenschaftlicher Einordnung des Archäologen als Lieferungswerk herausgegeben wurden.

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Michael Falser zu globalen Räumen des deutschen Kolonialismus. Begriffe und Methoden – Case-Studies – disziplinäre Querverbindungen

Mit den 1880er Jahren stieg das Deutsche Reich neben Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden zur viertgrößten Kolonialmacht auf. Spezifikum des Deutschen Kolonialismus war, dass er mit Kolonien bzw. Schutzgebieten in Afrika (Deutsch Ost- bzw. Südwestafrika, Kamerun, Togo), Ostasien/China (Tsingtau-Kiautschou) bis Ozeanien (Neuguinea, Kaiser-Wilhelmsland, Marianen, Karolinen, Marshall-Inseln bis Samoa) geopolitisch ein globales Projekt war (Abb. 1), wie es die Karte aus Meyers Konversationslexikon von 1900/1 im Artikel „Kolonien“ einem breiteren Publikum „im Größenvergleich zum Mutterlande“ vor Augen führte.

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Yvonne Schweizer über NFT-Kunst

DER ZAUBER DES NATIV DIGITALEN UNIKATS

Im Februar 2021 geht ein Raunen durch die Kunstwelt: Non-Fungible Tokens, kurz NFTs, scheinen den Kunstmarkt zu revolutionieren. Der 40-jährige Beeple, ein seit 2007 auf der Plattform Tumblr tätiger Grafikdesigner, erzielte im Februar für seine digitale Collage Everydays: The First 5000 Days einen Rekordpreis. Seit 2007, dem Gründungsjahr von Tumblr, lädt Beeple täglich ein digitales Werk auf die Plattform. Das Besondere: Die einzelnen Bestandteile der Collage bleiben auch nach der Versteigerung auf der Tumblr-Plattform sowie auf Instagram stehen. Jede Userin und jeder User kann die nativ digitalen Arbeiten als Bilddateien downloaden. Über die Hashtags #beeple und #everyday sind die einzelnen Bildelemente miteinander verbunden. Sie liefern den Bausatz für die Collage; mit einem entsprechenden Visualisierungstool wäre der vom Auktionshaus ausgegebene Screenshot der JPEG-Datei (Abb. 1) gar eins zu eins reproduzierbar.

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Ursula Ströbele über eine arbeitende Bildhauerin: Antoine Bourdelles Bronzeporträt Cléopâtre Sevastos‘

„Ich möchte, sie wären mein Sohn!“ äußerte sich Albert Wolff zu der in seinem Berliner Atelier arbeitenden norwegischen Bildhauerin Ambrosia Tønnesen (1859-1948). (Albert Wolff zitiert nach Yvette Deseyve, „Man hat in ihren Händen noch nicht den Meissel Pygmalions gesehen.“ Die Bildhauerinnen des langen 19. Jahrhunderts in der Sammlung der Nationalgalerie, in: dies./Ralph Gleis (Hg.), Kampf um Sichtbarkeit. Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919, Ausst.-Kat. Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, Berlin 2019, S. 79-103, S. 85). Dieser zynische, eigentlich nobilitierend gemeinte Ausspruch ist paradigmatisch für die Zeit des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Im männlich konnotierten Medium der Skulptur unterlagen Bildhauerinnen vielfältigen Restriktionen im Hinblick auf künstlerische Ausbildung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Ausstellungen und Rezeption, die unübersehbare Diskrepanzen zwischen eigener Rollendefinition und gesellschaftlicher (Alltags-)Realität zutage treten lassen. Und doch gab es zunehmend Bildhauerinnen, die in privaten Akademien und Ateliers ihrer männlichen Kollegen lernten, bis sie an den staatlichen Akademien zugelassen wurden.

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Simone Westermann über eine aufmüpfige Fliege. Ein Bildwitz um 1400?

Wenn im Bild eine Fliege auf der Nase einer Figur sitzt, kommt die/der Kunsthistoriker*in kaum umhin, sich an eine denkwürdige Künstleranekdote zu erinnern: Giorgio Vasari zufolge soll Giotto di Bondone in Absenz Cimabues eine kleine Fliege auf die Nase einer vom Meister gemalten Figur gesetzt haben (Giorgio Vasari: Das Leben des Cimabue, des Giotto und des Pietro Cavallini, übers. v. Victoria Lorini, hrsg. v. Fabian Jonietz u. Anna Magnago Lampugnani, Berlin 2015, S. 94). Zurückgekehrt erblickt Cimabue das Insekt und versucht es mehrmals vergeblich zu verscheuchen, bis er bemerkt, von seinem Schüler reingelegt worden zu sein.

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Anna Lena Frank zu einigen erleuchtenden Erkenntnissen über Hogwarts als „Museum“ mittelalterlicher Kunst: Lumos Maxima!

TEIL 3: SCHACH MATT! UND FINITE INCANTATEM

Des Weiteren finden im ersten Film die sogenannten Lewis Chessmen (2. Hälfte 12. Jh.) Benutzung. Harry und Ron spielen mit ihnen zu Beginn der Weihnachtsferien in der Großen Halle von Hogwarts (vgl. u.a. The Lewis Chessmen. New perspectives, ed. by David H Caldwell and Mark A Hall, Edinburgh 2014; James Robinson: The Lewis chessmen, London 2009.).

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Anna Lena Frank zu einigen erleuchtenden Erkenntnissen über Hogwarts als „Museum“ mittelalterlicher Kunst: Lumos Maxima!

TEIL 2: MAGISCHE EINHÖRNER

Werfen wir also einen Blick in den Gryffindor Gemeinschaftsraum und auf die sich darin befindenden Tapisserien. Alle sechs Bildwirkereien des Zyklus‘ Die Dame mit dem Einhorn (Ende 15. Jh.), sind an den Wänden des vieleckigen Raumes aufgehängt (vgl. u.a. Gabriela Reus: ‚La Dame à la licorne‘. Tapisserien als Kunstform des aufstrebenden Bürgertums, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 33, 2016, 59–90).

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Anna Lena Frank zu erleuchtenden Erkenntnissen über Hogwarts als „Museum“ mittelalterlicher Kunst: Lumos Maxima!

TEIL 1: INS MITTELALTER GEZAUBERT?

Die mit der sogenannten Corona-Notbremse einhergehende Zwangspause zu Hause könnte man produktiv nutzen und einen Frühjahrsputz starten, oder man verbringt die Zeit auf dem Sofa bei einem Harry Potter-Marathon. Dazu passend soll der erste Film der Saga hier im Folgenden schlaglichtartig aus kunsthistorischer Perspektive, im Sinne eines kurzweiligen Bildseminars, unter die Lupe genommen werden. Stellt sich doch anlässlich der Tatsache, dass zahlreiche Werke der bildenden Kunst des Mittelalters in ihm einen Auftritt haben, die Frage, inwiefern diese gezielt eingesetzt werden, um die wohl beliebteste magische Welt aller Zeiten zu kreieren. Ein Besuch – natürlich corona-konform mit Mund-Nasen-Schutz – in der Bibliothek, kann Antworten liefern und würde die beflissene Büchernärrin Hermine sicherlich stolz machen…

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