Birgit Jooss über Hitler als Kunde

Eine gelbliche Karteikarte mit einigen wenigen handschriftlichen Vermerken.

Auch Adolf Hitler kaufte bei Julius Böhler. 1934 erwarb er eine klassizistische Skulptur des Schweizer Bildhauers Heinrich Maximilian Imhof (1795–1869): Die marmorne Porträtbüste einer jungen Frau, die ihren Kopf nach unten neigt. Über ihrem welligen Haar trägt sie ein Kopftuch, ihren Oberkörper hat sie in ein einfaches, antikisch anmutendes Gewand gehüllt. Heute wird die 40 cm hohe Büste im Wallraf-Richartz-Museum in Köln als Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland aufbewahrt.

Bislang war nicht bekannt, wen diese Frau darstellt. Bis zur Entdeckung der Karteikarte im Böhler-Archiv wurde das Werk im Kölner Museum schlicht als „Frauenbüste“ geführt. Doch die Karteikarte, die wir im Zuge unseres Projektes digitalisiert und erfasst haben, verrät mehr als nur die Provenienz „Adolf Hitler“: Dargestellt ist die Schriftstellerin Mathilde Wesendonck (1828–1902), die insbesondere als Muse des Komponisten Richard Wagner (1813–1883) in die Geschichte einging.

Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Kaufmann, Kunstsammler und Mäzen Otto Wesendonck (1815–1896), war sie 1851 nach Zürich gezogen, wo sie sich 1855 eine herrschaftliche Villa erbauen ließen, die heute das Museum Rietberg beherbergt. 1852 hatte das Ehepaar Richard Wagner kennengelernt, und es entwickelte sich bald eine enge Freundschaft. Otto Wesendonck unterstützte Wagner äußerst großzügig und ermöglichte es ihm, bis 1858 in Zürich zu leben und zu arbeiten. Eine besondere Nähe entstand aber vor allem zu dessen Frau – eine (platonische) Beziehung, die schließlich zum Eklat mit Wagners Frau Minna führte. Dieser verließ Zürich, aber das freundschaftliche Verhältnis zum Ehepaar Wesendonck sollte weiterhin Bestand haben.

Am 12. Dezember 1933 hatte Eva (Eveline, auch Evy) von Wesendonk, Gräfin von Hessenstein (1861–1945, mit der Erhebung in den Adelsstand 1899 entfiel das „c“ in ihrem Namen), die Schwiegertochter der 1862 Porträtierten, die Büste bei Böhler eingeliefert. Die erstaunlich geringe Ankaufssumme von 50 Reichsmark hatte sich Böhler mit seinem Kollegen Adolf Weinmüller (1886–1958) geteilt, der seit Ende der 1920er Jahre seine Karriere als Kunsthändler äußerst zielstrebig verfolgte (Meike Hopp: Kunsthandel im Nationalsozialismus. Adolf Weinmüller in München und Wien, Köln 2012).

Dieser Share zwischen den beiden Kunsthändlern war das erste gemeinsame Geschäft, das sich drei Jahre später intensivieren sollte: 1936 stieg die Kunsthandlung Böhler beim Versteigerungshaus Weinmüller als stiller Teilhaber ein und blieb bis 1938 Geschäftspartner.

Sicherlich hätte Böhler die Kaufsumme von 50 Reichsmark ohne Weiteres auch alleine aufbringen können, doch es war nicht das einzige Objekt, das Eva von Wesendonk veräußerte. Hinzu kamen eine weitere Marmorbüste und ein Pastell, die beide ebenfalls Mathilde Wesendonck darstellten und für die sie immerhin je 1.440 Reichsmark erhielt. Zum Konvolut gehörten außerdem preislich niedrig angesetzte Auszüge aus Richard Wagners Opern, so dass sie insgesamt Ware im Wert von 3.000 Reichsmark verkaufen konnte. Warum die Imhof’sche Büste nur mit 50 Reichsmark angesetzt war, erschließt sich aus heutiger Warte nicht, gehörte doch der Bildhauer zu den bedeutenderen klassizistischen Bildhauern der Schweiz, der einige Aufträge großer Fürstenhäuser, darunter Preußen und Bayern, erhalten hatte.

Eva von Wesendonk hatte 1883 den Sohn von Otto und Mathilde, den Physiker Karl Wesendonck (1857-1934), geheiratet. Kurz vor dessen Tod im April 1934 und vermutlich in dessen Auftrag verkaufte sie die drei Porträts sowie die Opernauszüge.

Bei Böhler verblieb die Imhof’sche Büste ziemlich genau ein Jahr. Am 21. und 23. Januar 1934 erhielten drei potentielle Käufer Fotos der Büste: das Antiquariat Halle, ein Rechtsanwalt namens Hardt und ein Kunde namens Halle (eventuell identisch mit dem Antiquariat). Sogleich wurde sie bei 1.500 Reichsmark eingepreist, also – sage und schreibe – 30-mal teurer als im Eingang verbucht. Auch der Münchner Antiquar Hans W. Taeuber erhielt fünf Monate später ein Foto – jedoch ohne Verkaufserfolg. Doch kurz vor Weihnachten, am 20. Dezember 1934, zeitigten die Kontakte von Weinmüller, der bereits 1931 der NSDAP beigetreten war, Erfolg. Man liest auf der Karteikarte: „dch Adolf Weinmüller an den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler verk.“ Die Wunschsumme von 1.500 Reichsmark wurde erzielt.

Es ist die einzige Karteikarte im Böhler’schen System, auf der Hitler als Käufer namentlich erwähnt wird. Zweifelsohne verkaufte Böhler auch später noch Ware an Hitler bzw. dessen geplantes Museum in Linz, doch liefen diese Geschäfte über Mittelsmänner wie beispielsweise Hermann Voss (1884-1969). Der „Führer“ selbst tritt in der Kartei von Böhler nicht mehr in Erscheinung.

Hitler war bekanntermaßen Wagner-Enthusiast und aus diesem Grund mag Weinmüller sein Interesse für die Darstellung von dessen Muse geweckt haben. Nun fragt man sich, was Hitler mit der Marmorbüste machte – stellte er sie bei sich auf? In der Literatur zu seiner privaten Kunstsammlung taucht sie ebenso wenig auf wie in einer Kunst-Inventarliste seiner Wohnung am Prinzregentenplatz, die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv verwahrt wird. Wir wissen nicht, welchen Platz sie bei Hitler erhielt.

Wir wissen auch nicht, wann und wo die Büste nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wiederauftauchte. Sie erhielt zwar eine sogenannte München-Nummer: 50211. Doch eine so hohe Nummer wurde erst in einer Zeit vergeben, als der Central Collecting Point (CCP) in den ehemaligen NSDAP-Parteigebäuden in München, der diese Nummern ursprünglich vergab, längst nicht mehr existierte (Iris Lauterbach: Der Central Collecting Point in München, München/Berlin 2015). Das Ziel des CCP war es, Kunstwerke, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 geraubt, beschlagnahmt oder über den Kunsthandel unrechtmäßig verkauft worden waren, zu sammeln und zu inventarisieren, um sie anschließend restituieren zu können. Die Nummer muss also später von der Bundesfinanzverwaltung vergeben worden sein, als die Skulptur Eingang in die Sammlung des Bundes fand. Denn als Rechtsnachfolger des nationalsozialistischen Deutschen Reichs verwahrt die Bundesrepublik Deutschland den NS-Reichsbesitz. Doch weder in den Unterlagen des Bundesarchivs Koblenz (Bestand B 323) noch im Archiv der Kunstverwaltung des Bundes (KVdB) sind Informationen zur Provenienz des Werkes vermerkt. Niemand weiß bislang, wann und wie die Marmorbüste in das Bundesvermögen kam.

Wir konnten zwar die KVdB sowie das Wallraf-Richartz-Museum über unseren Fund informieren und dem Werk erstmals die Identität der Dargestellten sowie eine Teil-Provenienz mit „Wesendonck – Böhler – Hitler“ zuweisen, aber der Weg der Skulptur seit dem Kauf Adolf Hitlers im Dezember 1934 bis ca. 1970, als sie in die Verwaltung der Bundesrepublik kam, bleibt weiterhin im Dunkeln (Aktuelle Informationen zur Provenienz des Werkes können der Provenienzdatenbank.Bund entnommen werden). Wenn sich die Büste tatsächlich in seinem Nachlass befand, warum verblieb sie nicht in bayerischer Verwaltung? Fragen, die sich bis heute nicht klären ließen.

Dies war die 3. Nachricht aus dem Archiv Julius Böhler, Fortsetzung folgt …

Dr. BIRGIT JOOSS ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Projektleiterin des Forschungsprojekts „Händler, Sammler und Museen: Die Kunsthandlung Julius Böhler in München, Luzern, Berlin und New York. Erschließung und Dokumentation der gehandelten Kunstwerke 1903-1994“.