Birgit Jooss über ein Butterbrot für die Neue Pinakothek

Ein Ausschnitt einer rosigen Karteikarte mit einigen handschriftlichen Vermerken. Sie bezieht sich auf den verkauf des Gemäldes "Butterbrot" im Jahr 1929 an Baron Thyssen. Die Vermerke wurden mit einem großen roten X durchgestrichen.

Ein goldgerahmtes Gemälde mit dem lapidaren Titel Butterbrot erreichte am 30.7.1929 aus Berlin die renommierte, 1880 gegründete Münchner Kunsthandlung Julius Böhler. Der niederländische Maler Pieter de Hooch (hier: Hoogh, 1629 – um 1679) wird als Maler des Butterbrots genannt, Baron Thyssen (1875 – 1947) als Besitzer. Insider des Böhler‘schen Karteiensystems erkennen, dass die rosa Farbe der Karte und die Ziffer 177 29 auf ein Kommissionsgeschäft hinweisen. Rückseitig erfährt man, dass das Bild am 12.6.1930 in der Neuen Pinakothek „abgeliefert“ wurde.

Doch was hat ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert in der Neuen Pinakothek zu suchen? Und was bedeutet „abgeliefert“ an der Stelle der Karteikarte, auf der meist das Kürzel „gek.“ für „gekauft“ steht? Offenbar war Böhler gar nicht als Händler involviert. Der Hinweis „in Rep“ hinter „Baron Thyssen gehörig“ könnte auf die Rolle der Münchner Kunsthandlung verweisen. Es steht für „in Reparatur“, so dass zu vermuten ist, dass Thyssen die Dienste Böhlers für Restaurierungsmaßnahmen in Anspruch genommen hatte. Außerdem ist merkwürdigerweise die beachtliche Summe von 300.000 Mark an der Stelle notiert, an der üblicherweise der Ankaufspreis steht.

Neugierig macht zunächst der Titel „Butterbrot“, den der Mitarbeiter der Kunsthandlung ungewöhnlicher Weise in Anführungsstriche setzte, so als ob er selbst dieser trivialen Bezeichnung nicht traute. Schnell lässt sich die zugehörige Abbildung unter den Fotomappen Böhlers finden. Sie zeigt in einem Interieur die intime Szene einer Mutter, die ihrem Sohn ein Pausenbrot für seinen Schulgang bereitet. Dieser steht geduldig mit seinem Hut in der Hand neben ihr und wartet. Der Kunsthistoriker Wilhelm Valentiner vermutete 1929, dass es sich bei dem Jungen um den Sohn des Malers handeln könnte (Wilhelm R. Valentiner: Pieter de Hooch. Des Meisters Gemälde, Stuttgart 1929, S. 275-276). Im Hintergrund lässt die geöffnete Tür den Blick frei auf seine Schule („Schole“), die sich unmittelbar auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet. Durch das Foto lässt sich das Gemälde also eindeutig identifizieren. Seit 1984 befindet es sich unter dem Titel A Woman Preparing Bread and Butter for a Boy im J. Paul Getty Museum in Los Angeles.

Studiert man auf der linken Seite der Karteikarte sowie in der Sekundärliteratur die Hinweise zu Besitz- und Ausstellungsgeschichte des Gemäldes, so offenbart sich der Zusammenhang: Die Neue Pinakothek hatte Heinrich Baron von Thyssen-Bornemisza de Kászon 1930 unter dem Titel Sammlung Schloss Rohoncz erstmals eine spektakuläre Schau seiner frisch zusammengetragenen Sammlung ermöglicht. 428 Gemälde sowie 88 Objekte aus den Bereichen Skulptur, Kunsthandwerk, Möbel und Buchminiatur waren zu sehen, so auch unter der Nummer 158 und auf der Tafel 59 das Butterbrot, allerdings mit dem Titel Frau mit Knaben im Zimmer. Böhler hatte das Bild aus Berlin übernommen, offenbar restaurieren lassen und dann an die Neue Pinakothek zur Ausstellung übergeben.

Aber warum machte sich die Kunsthandlung Böhler dann die Mühe eine eigene Fotomappe anzulegen, wenn sie gar nicht in den Handel involviert war? Welchen Sinn sollte das machen? Hier lohnt sich der Blick auf die Rückseite der Fotomappe, auf der mit Bleistift auf einem Zettelchen notiert ist „an Thyssen, Haag, verkft. durch Berlin, zu M 260.000 gerechnet von uns z. 300.000“.

Mit diesem Vermerk erklärt sich, warum auf der Vorderseite der Karteikarte nicht nur die Summe vermerkt ist, sondern auch als Eingang „von Berlin“. Dazu muss man wissen, dass die Kunsthandlung Böhler für eine kurze Zeit eine Zweiggalerie in Berlin führte. 1928 hatte sie dort unter Beteiligung der Kölner Kunsthändler Heinrich Steinmeyer (1871– 1931) und Heinz Steinmeyer (1900 – 1983) eine selbstständige Niederlassung unter dem Namen Julius Böhler KG gegründet, die sie jedoch bereits 1932 wieder aufgab. Thyssen hatte also das Gemälde in dieser Zweigniederlassung erworben und es dann direkt von dort nach München schicken lassen. Der Differenzbetrag von 40.000 Mark ist nicht mit Gewissheit aufzuklären. Eventuell hängt er mit der Wertstellung des Bildes für die Versicherung zusammen.

Studiert man in der veröffentlichten Fachliteratur aus den Jahren 1929 bis 2013 die Provenienzangaben zu dem Gemälde, so fehlt der Hinweis auf Böhler. Erst mit der Veröffentlichung des Archivs der New Yorker Kunsthandlung Knoedler in den Jahren 2013 bis 2016 durch das Getty Research Institut wurde bekannt, dass Andrew Mellon (1855 – 1937) das Bild 1929 an Knoedler verkauft, der es im gleichen Jahr an Böhler zu 60.000 Dollar weiter veräußert hatte; eine Bestätigung also, dass Böhler tatsächlich als Händler involviert war.

Baron Thyssen war ein bedeutender Kunde für alle damaligen Kunsthandlungen in ganz Europa, so auch für Böhler. In kürzester Zeit trug er ab Mitte der 1920er Jahre – also zu einer wirtschaftlich äußerst angespannten Zeit – eine riesige, hochqualitative Kunstsammlung zusammen, die er unter dem Titel des Adelssitzes seiner angeheirateten Familie Schloss Rohoncz führte. Er erwarb Ende der 1920er und in den 1930er Jahre zahlreiche Kunstobjekte bei Böhler, der stets sehr guten Gewinn verbuchen konnte. Im derzeit noch laufenden Erfassungsprojekt des ZI sind mittlerweile 58 Karteikarten dokumentiert, die auf Heinrich Baron von Thyssen-Bornemisza hinweisen und die vermutlich noch im Laufe des Projekts um weitere Einträge ergänzt werden.

Für die Kunstszene war die Ausstellung in der Neuen Pinakothek 1930 eine große Überraschung. Thyssen war zu jener Zeit der breiten Öffentlichkeit als Sammler unbekannt. Erstmals ließ er alle seine Bestände aus Paris, Den Haag, London, Berlin und Rechnitz zusammenholen. Altdeutsche, italienische, französische, spanische, englische, aber vor allem niederländische Werke boten einen umfassenden Überblick über kunsthistorische Entwicklungen, so dass der damalige Direktor Friedrich Dörnhöffer (1865–1934) im Vorwort des Ausstellungskataloges von der „Geburtsstunde einer Sammlung“ sprach. Sie sei leuchtendes Beispiel für eine universal angelegte Kollektion, die neben dem öffentlichen Besitz standhalten könne, und von der er hoffte, dass sie eines Tages „dauernd der Öffentlichkeit dienen soll“. Unumstritten blieb die Ausstellung jedoch nicht, denn es brachte das Fass des Expertisenwesens zum Überlaufen und stieß eine rege Diskussion über den Einfluss von Kunsthändlern und Gutachtern auf das Museumswesen an.

Dies war die 5. Nachricht aus dem Archiv Julius Böhler, Fortsetzung folgt …

Dr. BIRGIT JOOSS ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Projektleiterin des Forschungsprojekts „Händler, Sammler und Museen: Die Kunsthandlung Julius Böhler in München, Luzern, Berlin und New York. Erschließung und Dokumentation der gehandelten Kunstwerke 1903–1994“.

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