Christine Tauber über Aimé-Jules Dalous „Femme forte“ auf der Place de la Nation

Statue einer Frau mit phrygischer Mütze und Rutenbündel freigestellt vor zitronengelbem Hintergrund.

PARISER TROUVAILLE NR. 8

Wer heutzutage zur Pariser Place de la Nation strebt, tut dies zumeist, um möglichst schnell in die Métro oder in die RER zu kommen. Kunsthistorische Exkursionsgruppen widmen ihre Aufmerksamkeit höchstens dem Ensemble von Claude Nicolas Ledoux’ Zollhäusern, den Barrières du Trône mit ihren beiden Triumphsäulen, als herausragendem Beispiel für die (anachronistisch so genannte) Revolutionsarchitektur aus den späten 1780er Jahren. Dem Denkmal auf der Platzmitte schenkt kaum jemand einen Blick.

Abb. 1 Aimé-Jules Dalou, Der Triumph der Republik, 1899. Place de la Nation, Paris. Im Hintergrund Claude Nicolas Ledoux, Barrières du Trône, 1787. (Louiseloute, Place de la Nation-Paris, CC BY-SA 3.0)

Dabei ist dieser monumentale Triumph der Republik kaum zu übersehen. Es handelt sich hierbei um das Hauptwerk des Pariser Bildhauers Aimé-Jules Dalou (1838–1902). Von diesem eigenwilligen Künstler, der Mitglied der Nationalgarde und Sympathisant der Commune war und den Rodin 1883 in einer Büste verewigt hat, kennt man ansonsten noch das Denkmal Hommage à Delacroix im Jardin du Luxembourg (1890 eingeweiht), seine im Salon von 1870 prämierte Stickerin und das Bronzerelief Die Sitzung der französischen Deputiertenkammer vom 23. Juni 1789, das im Salon von 1883 mit der Ehrenmedaille ausgezeichnet wurde.

Abb. 2 Werbekarte für Chocolat Poulain, um 1900

Ute Hünigen, die dem Denkmal ihre Dissertationsschrift gewidmet hat, verstarb 2018, ohne ihre Forschungen veröffentlichen zu können. Ihre Kollegin und Freundin Katrin Pollems-Braunfels hat sich des seit den 1970er Jahren zusammengetragenen, umfangreichen Materials in verdienstvoller Weise angenommen und das schön illustrierte Buch zur Publikation fertiggestellt (Ute Hünigen: Le Triomphe de la République. Das Republikdenkmal von Aimé-Jules Dalou im Kontext der kunstpolitischen und künstlerischen Strömungen der III. Republik von 1870 bis 1899. Hg. Katrin Pollems-Braunfels. München, Hirmer Verlag 2021).
Der Triomphe de la République war ein Staatsauftrag der Dritten Republik für die Place de la République. Dalous Konzept wurde zweitplatziert und dann wegen seines großen Erfolges bei der Jury auf der Place de la Nation errichtet. Erste Überlegungen für ein Republik-Denkmal wurden in Paris bereits 1878 ventiliert und es wurde über die angemessene Ikonografie im republikanisch akkreditierten Spektrum von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hierfür gestritten. „Dalou wählte eine femme forte, eine kräftige Frauengestalt, der man Arbeit und Ausdauer ansieht und welche sichtbar der Arbeiterklasse zugehört“, wie Hans Ottomeyer in seinem Geleitwort zu Hünigens Buch schreibt.

Abb. 3 Dalou, Der Triumph der Republik, 1899. Place de la Nation, Paris (Guilhem Vellut from Paris, France, ‚Triomphe de la République‘ statue @ Place de la Nation @ Paris (33013477490), CC BY 2.0)

Die Republik, mit bonnet de la liberté auf dem Kopf und auf das altrömische Rutenbündel der unité gestützt, steht auf einem Wagen, der von zwei Löwen, Symbol der Volkskraft, gezogen und vom Genius der Freiheit angeführt wird, der den Weg mit seiner Fackel erhellt. Der Globus unter ihren Füßen soll den universellen Charakter der Republik unterstreichen. Die entblößte Brust der Marianne verweist auf Delacroix’ Liberté guidant le peuple von 1830, seine anlässlich der Julirevolution entstandene Allégorie réelle der Freiheit. Um den Wagen sind Allegorien der Arbeit (ein Schmied mit dem Hammer auf der Schulter), der Gerechtigkeit (eine Frau, die einen Hermelin-Mantel und die main de justice trägt) und des blumenstreuenden Friedens (auch Wohlstand genannt) gruppiert. Kinder stellen Allegorien der Bildung (Buch und Werkzeuge der Bauberufe), Gleichheit (Waage) und Wohlstand (Füllhorn) dar.

Abb. 4 Dalou, Der Triumph der Republik, 1899. Der Wohlstand von hinten. Place de la Nation, Paris (Sculpture:Jules Dalou creator QS:P170,Q551648
Photography : Teofilo, Statue of Peace or Abundance (Triumph of the Republic), 2009-08-29 002, CC BY-SA 2.0)

Die Ausführung dieses Riesendenkmals in montierten Bronzeteilgüssen nahm aufgrund der mehrfachen Planwechsel zehn Jahre in Anspruch und verschlang mehr als 500.000 Francs. Anlässlich der Feierlichkeiten zum Centenaire der Französischen Revolution wurde zunächst das großformatige Modell des bemalten Gipsdenkmals am 21. September 1889 in einer feierlichen Zeremonie eingeweiht. Die Einweihung der Bronzestatue konnte erst am 19. November 1899 vollzogen werden. Das Gipsmodell ist im Pariser Petit Palais erhalten.
Das Monument ist ein herausragendes Beispiel für die „Denkmalversessenheit“ des 19. Jahrhunderts. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstarkten in Frankreich auch in Folge des Deutsch-Französischen Krieges wie in ganz Europa nationalistische Tendenzen, die sich in einer wahren Flut von Nationaldenkmälern manifestierten. Die lange Genesephase des Republikdenkmals, das in einer 100-jährigen Tradition von Liberté-, Egalité-, Unité- und eben auch République-Monumenten im französischen Revolutionszeitalter seit 1789 steht, gibt hochinteressante Aufschlüsse über die breitenwirksame Neugestaltung des öffentlichen Raumes in der Metropole Paris und über Strategien der Kunstpolitik im Einsatz von politischer Ikonographie in der Dritten Republik, die ihre Bürger mit Hilfe von öffentlichen Monumenten zu wahren Republikanern erziehen wollte. Dementsprechend wird das Denkmal bei den auf der Place de la Nation häufig stattfindenden Demonstrationen und Aktionen gerne als Teilnehmer im Sinne der Manifestation demokratischer Willensäußerung eingemeindet.

Abb. 5 Aktion der feministischen Gruppe „La barbe“ am 14. Juli 2015 auf der Place de la Nation, Paris (Céline Mouzon, Action du groupe féministe La Barbe à Paris., CC BY-SA 3.0)


Das war die Pariser Trouvaille Nr. 8, Fortsetzung folgt…

Prof. Dr. CHRISTINE TAUBER ist die verantwortliche Redakteurin der Kunstchronik am Zentralinstitut für Kunstgeschichte und Professorin am Kunsthistorischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München.